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Zwei Jahrzehnte Politik Im Wandel: Hunger Wirksam Überwinden

Auf dem Weg zu Zero Hunger: Fortschritte und Herausforderungen

Anlässlich der 20. Ausgabe des Welthunger-Index (WHI) haben wir Expert*innen und politische Entscheidungsträger*innen aus unterschiedlichen Bereichen, Organisationen und Regionen eingeladen, ihre Perspektiven auf die globale Ernährungsunsicherheit und die Rolle des WHI in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu teilen.

Oktober 2025

Insights from Experts and Policymakers

Note: The views expressed in the interviews are those of the interviewees and are not peer-reviewed. They do not necessarily reflect the views of Welthungerhilfe (WHH), Concern Worldwide, or the Institute for International Law of Peace and Armed Conflict (IFHV).

Joachim von Braun

Joachim von Braun, Mitinitiator des Welthunger-Index und stellvertretender Vorsitzender des Präsidiums der Welthungerhilfe. Er ist ehemaliger Direktor des Zentrums für Entwicklungsforschung (ZEF) in Bonn und renommierter Professor für Wirtschafts- und Technologiewandel. Zudem ist er Präsident der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften im Vatikan und Mitglied der Wissenschaftlichen Gruppe des UN-Prozesses für Ernährungssysteme.

Bis Ende der 1990er-Jahre wurden nur unzureichende Fortschritte bei der Bekämpfung des Hungers gemacht. Der Welternährungsgipfel 1996 in Rom hatte das Ziel, Maßnahmen anzustoßen, doch die weltweiten Reaktionen waren zurückhaltend. Wir kamen zu dem Schluss, dass die Bekämpfung des Hungers für jedes Land einzeln angegangen werden muss und dass alle Beteiligten – nicht nur die Regierungen – einbezogen werden müssen. Wir waren überzeugt, dass die Betonung von Erfolgen aber auch von Misserfolgen in den einzelnen Ländern zu Maßnahmen führen könnte.

Die Idee des Welthunger-Index (WHI) entstand 1999 am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn. Er wurde im April 2000 erstmals vom ZEF-Team als Welternährungsindex [Wiesmann, von Braun und Feldbrügge 2000 a,b] veröffentlicht und in einer Publikation der Welthungerhilfe (WHH) aus dem Jahr 2000 vorgestellt. Der Index basierte ursprünglich auf drei Kernindikatoren: (1) Anteil unterernährter Menschen, (2) Prävalenz von Untergewicht bei Kindern und (3) Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren. Nachdem ich 2002 Generaldirektor des International Food Policy Research Institute (IFPRI) wurde, verlegten wir den Index dorthin, wo er weiterentwickelt und in Welthunger-Index umbenannt wurde.

Eine wesentliche Stärke des WHI liegt darin, dass er auf gründlicher Forschung beruht und dass er ein klares und multidimensionales Konzept von Hunger verfolgt, sich auf offizielle Daten verlässt, eine globale Reichweite hat und jährlich aktualisiert wird. Einige waren jedoch der Meinung, dass er die Komplexität von Unterernährung und Mangelernährung nicht ausreichend erfasse. Hier musste aber abgewogen werden zwischen der Komplexität des Index und seiner Stärke in der politischen Kommunikation. Im Bereich Hunger und Ernährung hat kein anderer Index die Reichweite des WHI erreicht. Als Alleinstellungsmerkmal des WHI bleibt der Ländervergleich, der zur Umsetzung von Politiken anregt.

Der WHI dient als Diagnosewerkzeug. Um die Ursachen und Veränderungen von Hunger zu verstehen, sind jedoch vertiefte Analysen erforderlich – insbesondere, da sich diese Ursachen stetig verändern. Zunehmend wird Hunger durch bewaffnete Konflikte, den Klimawandel, Flüchtlingsbewegungen, Gesundheitskrisen und wirtschaftliche Abschwünge mit wachsender Ungleichheit beeinflusst. Zudem muss der Ernährungsweise noch mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Wertvoll wäre ein ergänzender Index, der sich auf Nährstoffversorgung konzentriert, einschließlich Körpergewicht und Qualität der Ernährung.

Nitya Rao

Nitya Rao, Professorin für Geschlechterstudien und Entwicklung an der University of East Anglia, Essayistin im Welthunger- Index 2024, zu Geschlechtergerechtigkeit und Klimaresilienz

Seit 2016 sind im Kampf gegen Hunger und Unterernährung kaum Fortschritte sichtbar. Anhaltende Konflikte, Klimawandel, Marktstörungen, Wirtschaftskrisen und wachsende Ungleichheit bremsen die Entwicklung. Zwar wird das Recht auf Nahrung, besonders auf gesunde und nahrhafte Lebensmittel, anerkannt, doch bleibt es weitgehend unerfüllt. Hoffnung macht jedoch der Welthunger-Index: In Ländern wie Kambodscha, Kamerun, Nepal und Togo sind die Werte zwischen 2000 und 2024 von sehr ernst auf mäßig gesunken – positive Veränderungen sind also möglich.

Um über 2030 hinaus nachhaltige Fortschritte zu erzielen, müssen wir aus den Bemühungen der Vergangenheit lernen und gleichzeitig die aktuellen Herausforderungen – insbesondere den Klimawandel – angehen. Der Bericht The Unjust Climate der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2024 zeigt, dass die Auswirkungen des Klimawandels je nach Geschlecht und wirtschaftlicher Lage unterschiedlich stark spürbar sind. In Afrika südlich der Sahara und Südasien wandern immer mehr Männer aus der Landwirtschaft ab, sodass Frauen die Bewirtschaftung der Felder allein übernehmen müssen. Das führt zu einer zunehmenden Arbeitsbelastung und Zeitarmut für Frauen, die sich zusätzlich um ihre Familien kümmern müssen. Untersuchungen zeigen, dass nicht nur Nahrungsmittelknappheit, sondern auch Zeitarmut ein wesentlicher Faktor für schlechte Ernährungsergebnisse wie Wachstumsstörungen und Auszehrung bei Kindern ist. Das habe ich auch in meiner eigenen Forschung mit indigenen Gemeinschaften in Indien beobachtet, wo Frauen während der Hochsaison in der Landwirtschaft kaum Zeit zum Kochen oder Füttern ihrer Kinder hatten, was schwerwiegende gesundheitliche Folgen hatte.

Für einen transformativen Wandel sind Geschlechtergleichstellung und -gerechtigkeit essenziell. Gerechtigkeit hat drei Ausprägungen: Erstens in der Anerkennung, dass verschiedene Gruppen unterschiedliche Bedürfnisse haben und dass Einheitslösungen nicht funktionieren. Zweitens in der Umverteilung: Mit wachsender globaler Ungleichheit bleiben die Ressourcen ungleich verteilt. Frauen verrichten einen größeren Teil der landwirtschaftlichen Arbeit, besitzen jedoch selten Land. Laut FAO sind weltweit nur 10 bis 15 Prozent der Landbesitzer*innen Frauen. Ohne Land haben Frauen Schwierigkeiten, Zugang zu Krediten, Technologie und Informationen zu erhalten, was ungleiche Machtverhältnisse verstärkt und die Ernährungssicherung beeinträchtigt. Drittens geht es um Teilhabe: Dauerhafte Fortschritte lassen sich nur erreichen, wenn Frauen aktiv an politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen beteiligt sind, insbesondere bei der Steuerung von Ernährungssystemen.

In Ländern, die Fortschritte bei der Verringerung von Hunger gemacht haben, finden sich oft Elemente eines gerechtigkeitsbasierten Ansatzes. Frauen besitzen zwar selten Land, haben aber Zugang zu Bildung, Technologie und Wissen und organisieren sich in Kollektiven, die auf Gemeinde- bis Landesebene Veränderungen bewirken. Dennoch bleibt umfassender Wandel schwierig, da sich die Bemühungen bisher zu sehr auf Haushalte und Gemeinden konzentrieren, während systemischer Wandel vernachlässigt wird. Neben der Veränderung sozialer und kultureller Normen durch Bildung, Medien und Lehrpläne braucht es Reformen nationaler Politiken und globaler Märkte. Daten und Instrumente wie der Welthunger-Index können diesen Wandel entscheidend vorantreiben.

Macdonald Metzger

Macdonald Metzger, stellvertretender Stabschef des Verwaltungsbüros des Vizepräsidenten von Liberia

Die liberianische Regierung hat eine Reihe von Maßnahmen zur Bekämpfung der Ernährungsunsicherheit ergriffen. Sie reichen von Schulmahlzeiten mit Produkten aus eigenem Anbau bis hin zu sektorübergreifenden Strategien zur Bekämpfung akuter und chronischer Unterernährung. Diese Bemühungen stehen im Einklang mit der Nationalen Strategie für Ernährungssicherung und zeigen unser Engagement für einen umfassenden und inklusiven Ansatz. Besonders wichtig ist es, starke Partnerschaften mit lokalen Regierungen, traditionellen Autoritäten und Gemeinschaftsstrukturen aufzubauen. So stellen wir sicher, dass die Maßnahmen an die lokalen Bedingungen angepasst sind und von den Menschen vor Ort angenommen werden.

Die Sensibilisierung der Öffentlichkeit und die Beteiligung der Bevölkerung stehen im Zentrum der Regierungsstrategie. Dafür arbeiten wir eng mit in den Gemeinden verwurzelten und vertrauenswürdigen Personen zusammen, die als kulturelle Vermittler*innen fungieren. Sie übersetzen staatliche Politiken in eine Sprache, Werte und Praktiken, die für die Menschen vor Ort verständlich und relevant sind. So bauen sie Brücken zwischen den Gemeinden und den lokalen wie nationalen Behörden, schaffen Vertrauen und sorgen dafür, dass Programme an den jeweiligen Kontext angepasst und bürgernah gestaltet sind.

Der WHI hat wesentlich dazu beigetragen, den politischen Dialog in Liberia zu prägen und konkrete Maßnahmen gegen Hunger und Unterernährung voranzubringen. Verlässliche Daten sind dafür entscheidend – ohne sie bleiben Politiken spekulativ. Der WHI füllt wichtige Datenlücken, hilft uns Ressourcen gezielt einzusetzen, Doppelarbeit zu vermeiden und die Wirkung unserer Maßnahmen zu verstärken.

Wir achten darauf, die Ergebnisse des WHI in Formate zu übertragen, die bei den lokalen Zielgruppen Anklang finden: Infografiken, vereinfachte Leitfäden in liberianischen Sprachen, Lieder und gemeinschaftsbasiertes Storytelling. Durch den Einsatz kreativer, kulturell verankerter Tools machen wir Daten für Bürger auf allen Ebenen zugänglich und nutzbar. Dieser inklusive Ansatz stärkt Transparenz und Rechenschaft, fördert Eigenverantwortung und erhöht die Wirkung unserer Maßnahmen zur Ernährungssicherung in ganz Liberia.

Bimala Rai Paudyal

Bimala Rai Paudyal, ehemalige Außenministerin und Mitglied der Nationalen Planungskommission Nepals

Nepal hat die letzten zehn Jahre bei der Bekämpfung des Hungers gute Fortschritte erzielt. Mit 22 Millionen Menschen leiden jedoch noch immer ca. 14 Prozent unserer Bevölkerung unter Hunger und Unterernährung. Da bleibt noch viel zu tun, und wir arbeiten aktiv daran, die Situation zu verbessern.

Nepal ist eines der ganz wenigen Länder, die über ein spezielles Gesetz zum Recht auf Nahrung und Ernährungssouveränität verfügen. Das Recht auf Nahrung ist auch in unserer Verfassung verankert, so dass unsere Bürger gesetzlich anerkannte Rechte haben, die sie einfordern können. Dies hat zur Entwicklung verschiedener Sozialschutzprogramme und Strategien zur Bekämpfung von Hunger und Unterernährung geführt. Allerdings haben wir noch nicht alle Bestandteile dieses Gesetzes vollständig umgesetzt.

Die bisher erzielten Fortschritte basieren auf mehreren Schlüsselfaktoren. Einer davon ist das in unsere Strategie für Ernährungssicherheit integrierte Programm für sicherere Mutterschaft und Kindheit. Gesundheitskräfte in den Gemeinden besuchen schwangere Frauen und stillende Mütter zu Hause und bieten ihnen Hilfe bei ernährungsbezogenen Themen an und klären darüber auf, wie man mit lokal verfügbaren Zutaten nahrhafte Mahlzeiten zubereiten kann. Dies hatte selbst in ländlichen Gebieten eine große Wirkung.

Ein weiterer Faktor ist der verbesserte Zugang zu Einkommen für Frauen. Da für sie die Ernährung von Familie und Kindern oberste Priorität hat, wirkt sich dies stark aus. In den letzten zehn Jahren stiegen Geldtransfers deutlich an: Viele Männer wandern für die Arbeit in den Nahen Osten und die Golfstaaten aus und schicken Geld nach Hause. So verfügen Frauen über mehr Kontrolle über das Haushaltseinkommen, das sie meist für Lebensmittel einsetzen.

Ein dritter Faktor ist unser Multi-Stakeholder-Ernährungsprogramm. Ernährung ist ein Querschnittsthema, und wir haben eine enge Zusammenarbeit zwischen den Ministerien für Bildung, Gesundheit, Landwirtschaft und Technologie aufgebaut – alle arbeiten gemeinsam daran, die Ernährungssicherheit zu verbessern.

Wir haben uns jedoch bisher zu sehr auf abgelegene Regionen konzentriert. Durch die Stärkung der Frauen und die Integration von Ernährungssicherung in unsere Programme haben wir gute Fortschritte erzielt. Unser Fokus muss sich aber auch auf städtische Gebiete richten. Dort wachsen Armut, steigende Lebensmittelpreise und Einkommensunsicherheit, verschärft durch fehlende Beschäftigungsmöglichkeiten.

Eine weitere Herausforderung ist der Wandel der Ernährungsgewohnheiten, insbesondere bei jungen Menschen, die zunehmend verpackte, nährstoffarme Lebensmittel statt hausgemachter, nahrhafter Mahlzeiten wählen. Ernährungsfragen sind längst nicht mehr ausschließlich mit Armut verbunden. Deshalb muss unsere Strategie zur Verringerung von Ernährungsunsicherheit auch gezielte Maßnahmen in Schulen und Aufklärungskampagnen in Gemeinden umfassen, um Ernährungsverhalten zu verändern. Der Zugang zu ausreichender und sicherer Nahrung muss als gemeinschaftliche Aufgabe verstanden werden, die uns alle betrifft.

Sisay Sinamo Boltena

Sisay Sinamo Boltena, leitender Programmmanager, Seqota Declaration, und SUN-Ansprechpartner des äthiopischen Gesundheitsministeriums

Eine der erfolgreichsten Initiativen Äthiopiens gegen Mangelernährung ist die Erklärung von Seqota – ein hochrangiges Regierungsversprechen, Wachstumsverzögerung bei Kindern unter zwei Jahren bis 2030 zu beenden. Seit ihrer Einführung 2015 nach einem praxisorientierten Ansatz wurden bereits erhebliche Fortschritte erzielt.

Die Erklärung umfasst drei Phasen: Innovation (2016–2020), Expansion (2021–2025) und Skalierung (2026–2030). Vorrangig werden Maßnahmen mit geringen Kosten und hoher Wirkung in den Bereichen Gesundheit, Landwirtschaft, Wasser, Bildung, Frauen und Sozialschutz gefördert, unterstützt durch hochrangige Regierungsführung und finanzielle Investitionen.

Für den Erfolg waren mehrere Faktoren entscheidend: Erstens entwickelte die Regierung einen klaren 15-Jahres-Plan mit der Vision, dass alle Kinder ohne Mangelernährung aufwachsen. Zweitens wird die Initiative durch Spitzenvertreter auf Bundes- und Regionalebene geführt. Auf Bundesebene wird sie von Seiner Exzellenz, dem stellvertretenden Premierminister Ato Temesgen Tiruneh, und auf regionaler Ebene von den Exzellenzen, den Regionalpräsidenten und Bürgermeistern, geleitet. Drittens stellten nationale und regionale Regierungen finanzielle Mittel bereit, während Entwicklungspartner technische Hilfe und Investitionen einbrachten – unerlässlich, da ein Plan ohne Mittel wirkungslos bleibt. Viertens wurde ein starkes Accountability-Framework geschaffen: Scorecards überwachen die Leistung der Sektoren und Regionen. Sie werden regelmäßig überprüft und ermöglichen rechtzeitige Kurskorrekturen.

Unsere Wirkungsstudie zeigt: Durch unsere Investitionen konnten wir rund 110.000 Kinder vor Wachstumsverzögerung schützen. Die Zahl der betroffenen Kinder sinkt jedes Jahr um etwa drei Prozent.

Wir haben gelernt, dass Gemeindebeteiligung, Eigenverantwortung und die Stärkung der Rolle von Frauen bei der Programmgestaltung zentral sind. Community Labs und unsere First 1,000 Days Plus Public Movement sind dabei die wichtigsten Instrumente zur Mobilisierung auf allen Ebenen. Geschlechtergleichstellung war ein entscheidender Erfolgsfaktor der Innovationsphase, denn ohne die Beseitigung von Ungleichheit sind dauerhafte Verbesserungen der Ernährungssicherheit nicht möglich.

Wir geben unsere Erkenntnisse gerne weiter. Die Kernbotschaft: Ein Land braucht eine klare Vision und einen mehrjährigen Fahrplan zur Beendigung von Wachstumsverzögerung, die Initiative muss von der obersten politischen Führung getragen werden, inländische Investitionen sind unverzichtbar, und jedes Programm muss dem nationalen Kontext angepasst sein.

Klaus von Grebmer

Klaus von Grebmer, Ökonom und Mitinitiator des Welthunger-Index, emeritierter Forschungsbeauftragter und strategischer Berater am International Food Policy Research Institute

Auf dem ersten Welternährungsgipfel 1974 erklärte der damalige US-Außenminister Henry Kissinger, dass innerhalb von zehn Jahren kein Kind mehr hungrig zu Bett gehen werde. Das ist nicht eingetreten. 50 Jahre nach dieser Aussage gehen heute immer noch Millionen von Kindern jeden Abend hungrig zu Bett.

Ich habe früher in der Privatwirtschaft gearbeitet, wo ein bekannter Management-Guru einmal den folgenden Leitsatz formulierte: „Was nicht gemessen wird, wird nicht erledigt.“ Als ich später zum International Food Policy Research Institute kam und wir 2001 eine Konferenz dazu organisierten, wie bis 2020 eine nachhaltige Ernährung für alle erreicht werden kann, kam mir dieser Leitsatz erneut in den Sinn. Ich begann, zu fragen: Wie lässt sich Hunger messen und vergleichen und wie können wir empirisch feststellen, ob Fortschritte erzielt werden? So begannen wir, den WHI weiterzuentwickeln und zu veröffentlichen.

Wir wissen, dass Autorität, Rechenschaftspflicht und Verantwortung Schlüsselelemente einer effektiven Führung sind. Die gleichen Grundsätze gelten auch in der Überwindung des Hungers. Überall dort, wo die Beseitigung des Hungers zur obersten nationalen Priorität wurde und der Premierminister bzw. die Premierministerin oder Präsident*in sich persönlich für dieses Thema engagierte, konnten bedeutsame Fortschritte erzielt werden. Wenn die oberste Führungsebene regelmäßig Fortschrittsberichte anfordert, besteht eine klare Verpflichtung, Ergebnisse zu liefern und transparent zu begründen, was gegebenenfalls zu Abweichungen führte. Das haben Länder wie Bangladesch, Ghana und Thailand bewiesen. Wenn hingegen die Verantwortung für die Bekämpfung des Hungers allein dem Landwirtschafts- oder Gesundheitsministerium überlassen wird, stellen sich die Ergebnisse oft ganz anders dar. Landwirtschaft und Gesundheit sind oft die Ministerien mit dem niedrigsten Rang im Kabinett. Wenn niemand nach Fortschritten fragt und niemand zur Rechenschaft gezogen wird, wenn keine Fortschritte stattfinden, besteht kein Handlungsdruck, und niemand muss einen Misserfolg verantworten.

Der WHI ist ein wertvolles Instrument für effektive Führung. Er schärft das Bewusstsein für regionale und nationale Ungleichheiten in Bezug auf Hunger und identifiziert sowohl Erfolge als auch Rückschläge bei dessen Bekämpfung. Indem die Fortschritte im Laufe der Zeit verfolgt werden, dient er zudem als Motivationsfaktor und ermutigt die Länder, Maßnahmen zu ergreifen, um ihre internationale Position zu verbessern. Denn eines dürfen wir nicht vergessen: Der Hunger eines Einzelnen ist die Schande aller (afrikanisches Sprichwort).

Carolina Trivelli

Carolina Trivelli, unabhängige Expertin für Ernährungssicherung und ehemalige Ministerin Perus für Entwicklung und Soziale Inklusion

Eine wirksame Bekämpfung des Hungers erfordert das Zusammenspiel mehrerer wichtiger Faktoren. Erstens braucht es eine koordinierte Strategie mit einer starken Regierungsführung. Das bedeutet, dass Institutionen des öffentlichen und des Privatsektors sowie die Zivilgesellschaft partnerschaftlich zusammenarbeiten müssen. Zweitens sind zuverlässige und zeitnahe Daten essenziell, um Prioritäten zu setzen, Fortschritte zu überwachen und die erforderlichen Maßnahmen präzise zu konzipieren. Drittens muss eine klare Rechenschaftspflicht bestehen. Institutionen, Personen oder Ausschüsse müssen mit der Bekämpfung des Hungers beauftragt werden. Es muss jemand sowohl für die aktuelle Situation als auch für die ergriffenen Maßnahmen verantwortlich sein.

Der WHI hat insbesondere auf zwei Weisen maßgeblich zur Gestaltung der Politikdebatten beigetragen. Erstens liefert er aktuelle Daten, die den Beteiligten helfen, ihre Agenden und Verpflichtungen zu überdenken. Zweitens dient er als starkes Alarmsignal, das die Aufmerksamkeit externer Akteure wie Medien und Wissenschaft auf sich zieht.

Der WHI wird besonders über einen längeren Zeitraum betrachtet aussagekräftig. Während der Index eines einzelnen Jahres eine Momentaufnahme der aktuellen Situation liefert, ermöglicht uns eine mehrjährige Perspektive, die Ursprünge der heutigen Ergebnisse nachzuvollziehen und sie in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Auf diese Weise verwandelt sich der WHI von einem Bild in einen Film. Er zeigt nicht nur, wo wir stehen, sondern auch, woher wir kommen.

Wendy Geza

Wendy Geza, Forscherin für Ernährungssysteme und -politik an der Universität von KwaZulu-Natal, Essayistin im Welthunger-Index 2023 zur von jungen Menschen vorangetriebenen Transformation von Ernährungssystemen

Viele Länder verfügen bereits über wirksame Politiken zur Bekämpfung des Hungers – die größte Herausforderung liegt jedoch in ihrer Umsetzung. Ich forsche derzeit zu Ernährungspolitik im globalen Süden mit Fallstudien in Südafrika, Malaysia, Tansania und Ghana. Dabei untersuche ich Politiken, die den Zugang zu und die Erschwinglichkeit von Lebensmitteln verbessern sollen, insbesondere für marginalisierte Gruppen in Städten. In allen Fällen zeigt sich: Die Politiken sind gut ausgearbeitet und werden regelmäßig aktualisiert, doch ihre Umsetzung bleibt unzureichend. Wo etwas umgesetzt wird, fehlen häufig Überwachung und Rechenschaftspflicht. Selten existieren Prozesse, die sicherstellen, dass Vorgaben tatsächlich umgesetzt, bewertet und bei Problemen angepasst werden.

Es geht also weniger um die Entwicklung neuer Politiken, sondern um die Umsetzung bestehender in messbare Maßnahmen, die überwacht, bewertet und bei Erfolg skaliert werden. Globale Aktionspläne müssen in lokale Strategien übersetzt werden, doch selbst auf Gemeindeebene bleiben sie oft zu vage und ohne klare Vorgaben. Viele lokale Regierungsbeamt*innen verstehen die abstrakten Anforderungen nicht und wissen nicht, wie sie diese praktisch umsetzen sollen.

Ebenso unverzichtbar sind Plattformen, die Partnerschaften und Zusammenarbeit fördern. Wir brauchen Räume, in denen Rollen, Zuständigkeiten und Rechenschaft klar kommuniziert werden, in denen Fortschritte verfolgt und Lücken geschlossen werden. Wenn vielfältige Akteure zusammenarbeiten, entsteht echte gegenseitige Rechenschaft, falls Handlungen nicht mit den ursprünglichen Absichten übereinstimmen.

Tom Arnold

Tom Arnold, Agrarökonom und Berater für öffentliche Politiken, ehemaliger CEO von Concern Worldwide

Nach großen Fortschritten bei der Hungerreduzierung seit den 1950er-Jahren hat sich die Lage in den letzten zehn Jahren verschlechtert. Wir müssen diese Realität anerkennen und ihre Ursachen bekämpfen: Konflikte, die COVID-19-Pandemie und zunehmend den Klimawandel.

Zugleich haben zwei Entwicklungen die globale Reaktion geprägt: die wachsende Anerkennung der Bedeutung von Ernährung und die Etablierung von Ernährungssystemen als zentrales Konzept. In den vergangenen 20 Jahren spielte die stärkere Beachtung von Ernährung eine wichtige Rolle im Kampf gegen Hunger. Ein Wendepunkt war der Weltbank-Bericht von 2006 Repositioning Nutrition as Central to Development, der die Bedeutung der ersten 1.000 Lebenstage wissenschaftlich belegte. Als 2007/2008 die weltweite Nahrungsmittelkrise ausbrach, stand Ernährungssicherheit und Zugang zu gesunder Nahrung erstmals auf der G8-Agenda – und die Finanzmittel wurden deutlich erhöht. Zwei Jahre später entstand die Bewegung Scaling Up Nutrition (SUN), der heute 66 Länder und vier indische Bundesstaaten angehören. Ernährung ist seither fest auf der politischen Agenda verankert.

Seit dem UN-Gipfel zu Ernährungssystemen 2021 hat sich die Diskussion weiterentwickelt. Es reicht nicht, nur Hunger und Unterernährung zu bekämpfen. Wir müssen Mangelernährung in all ihren Formen – Unterernährung, Mikronährstoffmangel, Übergewicht und Adipositas – ganzheitlich betrachten und das gesamte Ernährungssystem einbeziehen. Dieses umfasst alle Elemente und Aktivitäten rund um Produktion, Verarbeitung, Verteilung, Konsum und Entsorgung von Lebensmitteln sowie deren soziale, wirtschaftliche und ökologische Auswirkungen. Nur wenn wir diese Wechselwirkungen berücksichtigen, lässt sich Ernährungssicherheit für alle wirksam verbessern.

Dan Smith

Dan Smith, Direktor des Stockholm International Peace Research Institutes SIPRI, Essayist im Welthunger-Index 2021 über Ernährungssysteme in Konfliktszenarien

Konflikte und Ernährungsunsicherheit sind zwei Seiten derselben Medaille. Gewaltsame Konflikte verschärfen Hunger und sind nach wie vor dessen Hauptursache. Ländliche Gebiete werden oft zu Schlachtfeldern, mit weitreichender Zerstörung von Ackerland, Produktionsstätten, Lagern und Infrastruktur – teils zufällig, teils absichtlich. Krieg verletzt, tötet und vertreibt Landarbeiter*innen genau wie alle anderen, verunreinigt Boden und Wasser. Wie zuletzt in Gaza sichtbar, kann Hunger als Waffe eingesetzt werden, obwohl dies gegen das Völkerrecht verstößt.

Gleichzeitig kann Ernährungsunsicherheit selbst Konflikte auslösen. Während die Politik – insbesondere die Motive wichtiger politischer Akteure – bei jeder Konfliktanalyse im Vordergrund stehen sollte, sind es oft die tieferen strukturellen Probleme, die einen fruchtbaren Boden für Gewalt bereiten. Dazu gehören Engpässe verursacht durch den Klimawandel und andere Umweltbelastungen, die durch tiefe soziale Ungleichheiten noch einmal verschärft werden. Wenn Regierungen Missstände nicht bewältigen, können Spannungen eskalieren. Steigende Preise für Grundnahrungsmittel wie Weizen stehen in engem Zusammenhang mit Unruhen. Da Ernährungssysteme global vernetzt sind, können Klimaschocks in einer Region Preisspitzen und Unruhen anderswo auslösen – wie zu Beginn des Arabischen Frühlings 2010/11.

Die gute Nachricht: Der Teufelskreis aus Konflikt und Hunger kann selbst inmitten von Gewalt durchbrochen werden. Es gibt zahlreiche lokale Beispiele, in denen dies gelungen ist. Forschungen des SIPRI-Programms für Nahrung, Frieden und Sicherheit haben Fälle in Kolumbien, Libanon, Mali, Nigeria und Südsudan identifiziert. Dort fördern extern finanzierte Projekte die Lebensmittelproduktion und lokale Unternehmen, stets mit starker Beteiligung der Bevölkerung. Manche Geldgeber verfolgen ausdrücklich Friedensziele, andere nicht. Entscheidend ist, dass Maßnahmen im Bereich der Ernährungssysteme unter dem Gesichtspunkt von Friedenssicherung und Konfliktprävention skalierbar sind.

Es gibt auch nationale Initiativen, die dieser Logik folgen. Nach der weltweiten Ernährungskrise 2007/08 entwickelten Ägypten und Marokko Strategien zur Ernährungssicherung durch landwirtschaftliche Entwicklung. Ägyptens Strategy for Sustainable Agricultural Development to 2030 und Marokkos Green Morocco Plan zielten auf Produktionsmodernisierung und klimaresistente Weizensorten. 2021 produzierte Marokko dreimal so viel Weizen wie im Dürrejahr 2020, mit Erträgen 58 % über dem Durchschnitt von 2016–2020. Solche Initiativen bleiben vielversprechende Wege zu langfristiger Ernährungssicherung.

Doch all diese Bemühungen – ob lokal oder national – können die Politik nicht ersetzen. Selbst die wirksamste, friedensorientierte Entwicklung von Ernährungssystemen kann an unverantwortlicher oder zynischer Führung scheitern. Sie kann jedoch die Wahrscheinlichkeit verringern, dass solche Führungspersonen an die Macht gelangen oder dort verbleiben.

Kaosar Afsana

Kaosar Afsana, Professorin an der BRAC James P. Grant School of Public Health, Mitglied des Präsidiums der Welthungerhilfe

Die Bekämpfung des Hungers erfordert einen systemischen Ansatz, der über Ernährungssysteme hinausgeht. Faire Löhne, bezahlbare Gesundheitsversorgung, gute Bildung und ein starkes Sozialsystem sind ebenso unerlässlich wie die Umsetzung ernährungssensibler Politiken, damit Menschen Zugang zu sicheren, nahrhaften und erschwinglichen Lebensmitteln haben und Resilienz aufbauen können.

Die Bekleidungsindustrie und die Kinderehe sind hier zwei Beispiele. In meinem Heimatland Bangladesch spielt die Bekleidungsindustrie eine wichtige wirtschaftliche Rolle – wir exportieren Bekleidung nach Europa, in die USA sowie in viele weitere Regionen und Länder. Die Erträge spiegeln jedoch nicht die tatsächlichen Produktionskosten wider und die Löhne der Arbeitnehmer*innen sind nach wie vor viel zu niedrig. Folglich können sich viele Arbeiter*innen, insbesondere Frauen, keine gesunde Ernährung leisten. Dies unterstreicht die dringende Notwendigkeit einer Reform unserer Wirtschafts- und Handelssysteme, um sie gerechter und nachhaltiger zu gestalten.

Frühe Heirat ist ein weiteres tief verwurzeltes Problem. Obwohl Kinderheirat unter 18 Jahren in Bangladesch illegal ist, werden immer noch viel zu viele Mädchen vor Erreichen des Erwachsenenalters verheiratet und müssen daher oft die Schule vorzeitig abbrechen. Die Regierung sichert Mädchen zwar eine kostenlose Sekundarschulbildung zu, jedoch hindern soziale und kulturelle Barrieren, wie z. B. Frühehen, viele Mädchen daran, die Schule abzuschließen. Frühe Heirat führt zu Teenagerschwangerschaften, verschlimmert Unterernährung und trägt später zu Erkrankungen und zum Tod von Müttern und Kindern bei. Daher ist Bildung ein Schlüsselfaktor, um den Kreislauf von Hunger und Armut zu durchbrechen.

Mendy Ndlovu

Mendy Ndlovu, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Centre for Transformative Agricultural and Food Systems der University of KwaZulu-Natal, Essayistin im Welthunger-Index 2023 über die von jungen Menschen angeführte Transformation von Ernährungssystemen

Wir müssen ab sofort und über 2030 hinaus gezielte Klimaschutzmaßnahmen ergreifen und die Resilienz der verletzlichsten Regionen stärken, um Hunger wirksam zu bekämpfen. Dazu gehören klimafreundliche landwirtschaftliche Praktiken, eine nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen und die Wiederherstellung von Ökosystemen – zum Wohle von Mensch und Planet, und zwar jetzt.

Ebenso gilt es, Ernährungssouveränität zu fördern und indigenes Wissen einzubeziehen, um lokale Agrar- und Ernährungssysteme zu stärken. Inklusive Regierungsführung und soziale Absicherung sind dabei zentral, insbesondere für Frauen und junge Menschen. Notwendig sind gesicherte Land- und Wasserrechte sowie ihre volle Beteiligung an Entwicklung und Entscheidungen in allen Bereichen der Ernährungssysteme.

Mit der richtigen Unterstützung können junge Menschen als Aufklärer*innen, Innovator*innen, Fürsprecher*innen, Netzwerker*innen und Führungskräfte im Klimaschutz wirken. Sie sind unverzichtbar für eine resiliente, nachhaltige Zukunft in Afrika südlich der Sahara und im Globalen Süden. Entscheidend ist die Stärkung ihrer technologischen Fähigkeiten und ihres Zugangs zu Technologie – etwa zu Plattformen wie dem Welthunger-Index, die Bewusstsein für lokale und regionale Herausforderungen schaffen und Lösungen unterstützen. Dazu gehört auch die Fähigkeit, Daten aus Frühwarnsystemen zu verstehen und zu nutzen, um Katastrophen proaktiv begegnen zu können.