Junge Engagierte gründen weltweit ihre eigenen Organisationen und Initiativen. Dadurch verändern sie die Sichtweise auf globale Herausforderungen, treiben soziale Innovationen voran und zeigen ihre Bereitschaft, Teil der Lösung zu sein.
Als Jugendliche betrachten wir die fehlende Ernährungssouveränität als eine der größten Schwächen der derzeitigen Ernährungssysteme. Wir sehen in dem Streben nach Ernährungssouveränität eine vielversprechende Möglichkeit, junge Menschen für die Umgestaltung von Ernährungssystemen zu mobilisieren. Ziel ist, dass diese nachhaltiger und gerechter werden und die Bedürfnisse aller Menschen, insbesondere der vulnerabelsten, besser erfüllen.
Das Konzept der Ernährungssouveränität umfasst vier zentrale Punkte: die Menschen und ihre Rechte, die Qualität der erzeugten Nahrungsmittel, kulturelle Aspekte von Ernährungssystemen und das Wohl der Umwelt. Auf dem globalen Forum im Dorf Nyéléni, Mali, wurde 2007 eine Erklärung verfasst, in der Ernährungssouveränität wie folgt definiert ist: „Das Recht aller Völker auf gesunde und kulturell angepasste Nahrung, nachhaltig und unter Achtung der Umwelt hergestellt, sowie das Recht der Bevölkerung, ihre Ernährung und Landwirtschaft selbst zu bestimmen“ (Declaration of Nyéléni 2007).
Der Verlust der Ernährungssouveränität, vor allem in den Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, wurde durch mehrere Umstände befeuert, darunter Kolonialismus, schlechte Regierungsführung, intensive Kapitalisierung von Ernährungssystemen, weitverbreitete Zunahme von Monokulturen und einige Auswirkungen der Grünen Revolution (Weiler et al. 2015; Shilomboleni 2017). Infolgedessen sind indigene und lokale Landwirtschafts- und Wissenssysteme in hohem Maße bedroht. Sie wurden nicht nur in Forschung und Politik vernachlässigt, sondern auch weil ältere Menschen häufig auf dem Land zurückbleiben und das Wissen nicht mehr an junge Menschen weitergeben können (Gunaratne et al. 2021).
In vielen Gebieten sind lokale Landwirt*innen von Saatgutsystemen ausgeschlossen und können nur begrenzt beeinflussen, was sie anbauen. Das führt dazu, dass indigene Kulturpflanzen in Vergessenheit geraten (Mabhaudhi et al. 2018; Sidibé et al. 2020; Mudau et al. 2022).
In Afrika, Asien und Südamerika wurden mittlerweile zahlreiche saatgutbezogene Gesetze verabschiedet. Artikel 326 des kenianischen Gesetzes über Saatgut und Pflanzensorten von 2012 beispielsweise stellt die Nutzung aller „nicht registrierten Pflanzensorten“ – das sind häufig traditionelle Sorten – unter Strafe und schränkt damit die Wahlmöglichkeiten der Landwirt*innen ungemein ein (GRAIN and La Via Campesina 2015; Dena 2022). Solche Gesetze bedrohen die Existenzgrundlage und Ernährungssicherheit der betroffenen Menschen.
Der daraus resultierende Mangel an Ernährungssouveränität hat zu zahlreichen Problemen beigetragen, darunter weitverbreitete Ernährungsunsicherheit und schlechte Gesundheit (Gunaratne et al. 2021; Sampson et al. 2021; Bjornlund et al. 2022). Der weltweite Hunger hat sich zwar zwischen 1990 und 2017 durch Maßnahmen wie die Förderung des Anbaus großer, ertragreicher Kulturpflanzen verringert. Aber sowohl der Anteil als auch die absolute Zahl der unterernährten Menschen stagniert beziehungsweise steigt seit 2017 (FAO et al. 2023a). Dies unterstreicht die dringende Notwendigkeit einer Transformation der Ernährungssysteme.
Seit dem Welternährungsgipfel von 1996 wurden kaum konkrete politische Maßnahmen zur Wiederherstellung der Ernährungssouveränität ergriffen; gleichwohl gibt es weltweit einen verstärkten Fokus auf soziale Gerechtigkeit und die Notwendigkeit, das Menschenrecht auf Nahrung sicherzustellen und zu schützen (La Via Campesina 2021; Sampson et al. 2021; Bjornlund et al. 2022; GFFA 2023). Größere Ernährungssouveränität bedarf einer Wiederbelebung indigener und vernachlässigter Kulturpflanzen4 sowie bäuerlicher Mischbetriebe mit Ackerbau und Viehzucht, um die derzeitigen globalisierten Ernährungssysteme diverser und lokaler zu gestalten und damit zugänglicher, nachhaltiger, inklusiver und klimaresilienter zu machen. Dies erfordert darüber hinaus ein inklusiveres und ganzheitlicheres Saatgutsystem (Mabhaudhi et al. 2018, 2019; Akinola et al. 2020; Wijerathna-Yapa and Pathirana 2022).
Sofern sie gefördert werden, können lokal widerstandsfähige, vielfältige, innovative und weniger ressourcenintensive kleinbäuerliche Bewirtschaftungssysteme eine nachhaltige Lösung für die aktuellen Ernährungsprobleme darstellen und somit für vulnerable Bevölkerungsgruppen einen Weg aus der Armut und dem Hunger bedeuten (Mabhaudhi et al. 2018; Mudau et al. 2022; Wijerathna-Yapa and Pathirana 2022). Ein solcher Ansatz stärkt überdies die Menschenrechte marginalisierter Gruppen, die durch die derzeitige Gestaltung der Ernährungs- und Saatgutsysteme ausgegrenzt werden. Um inklusive, nachhaltige Ernährungssysteme und Ernährungssouveränität für alle innerhalb der Belastbarkeitsgrenzen unseres Planeten zu erreichen, braucht es Innovationen. Die Jugend als Erbende der Ungerechtigkeit hat das Potenzial, diese Innovationen hervorzubringen.