Die Komplexität von Ernährungssystemen sowie von Konflikten und Friedensförderung stellt eine große Herausforderung dar. Für einzelne Organisationen und Institutionen in den Bereichen Ernährungssicherheit und Friedensförderung ist es schwierig, die Vielfalt der Akteure, die Vielzahl der Ebenen, Prozesse und Wechselwirkungen in vollem Umfang zu berücksichtigen. Die Komplexität dieser Aufgabe ist jedoch kein Grund, es nicht zu versuchen. Als Mindestmaß sollte sichergestellt werden, dass die Nahrungsmittelhilfe mit Sensibilität für den Konflikt geleistet wird. Bei der wesentlich ambitionierteren Arbeit an den miteinander verknüpften Zielen nachhaltige Ernährungssicherheit und nachhaltiger Frieden geht es nicht nur darum, keinen Schaden anzurichten, sondern auch, Gutes zu bewirken. Mit diesem Essay rufen wir dazu auf, beim Aufbau resilienter Ernährungssysteme die Friedensförderung und bei der Friedensförderung die Ernährungssicherheit zu integrieren. Damit dieses Ziel erreicht wird, haben wir vier Prioritäten definiert.
Priorität 1: Einen flexiblen und agilen Ansatz verfolgen
Die Kenntnis des jeweiligen lokalen Kontexts ist von entscheidender Bedeutung. Was unter Frieden verstanden wird, kann sich entlang ethnischer, konfessioneller, regionaler oder politischer Linien stark unterscheiden, wobei auch die Wahrnehmung von Gefahren und Problemen sehr variieren kann (Kanbur, Rajaram, and Varshney 2010; McKeown, Cavdar, and Taylor 2019). Die Friedensdefinition der einen Gruppe zu nutzen, kann zu Konflikten mit einer anderen führen. Auch die Problemstellungen verändern sich im Laufe der Friedensarbeit und neue Schwierigkeiten treten auf. Parallel dazu stehen Gemeinden vor neuen Herausforderungen – sei es ein Extremwetterereignis, eine Rezession, ein gewaltsamer Konflikt in der Nachbarregion oder eine Pandemie – und die Reaktionen darauf können entscheidend dafür sein, ob die Aussichten auf Frieden erhalten oder untergraben werden. Ebenso sind Ernährungssysteme in hohem Maße kontextabhängig; ihre Sicherung birgt die verschiedensten Herausforderungen, weswegen sie flexibel und reaktionsschnell unterstützt werden müssen.
Schlussendlich werden Ernährungssysteme und Frieden durch das Zusammenwirken verschiedenster Prozesse und Dynamiken erzeugt und durch eine Reihe unterschiedlicher Risikofaktoren gefährdet. Daher müssen Maßnahmen zur Friedensförderung im Rahmen solcher zur Ernährungssicherung flexibel und agil sein, damit sie an veränderte Bedingungen und Anforderungen angepasst werden können.
Priorität 2: Auf partnerschaftliche Zusammenarbeit setzen
Obwohl es von entscheidender Bedeutung ist, den lokalen Kontext zu verstehen, reicht dies allein nicht aus. Auch das Wissen, was in anderen Kontexten erfolgreich war, was nicht funktioniert und was Probleme verursacht hat, ist unabdingbar. Dafür sind Partnerschaften entscheidend. Die Kenntnisse der Menschen, Gruppen und Organisationen, die die Situation vor Ort umfänglich kennen, müssen mit dem in verschiedenen Kontexten durch Forschung und bei Maßnahmen erzeugten Wissen zusammengeführt werden. Nationale Regierungen und internationale Organisationen, seien es NGOs oder UN-Organisationen, können ohne lokale Partner nicht erfolgreich sein, und umgekehrt werden lokale Partner wahrscheinlich allein ebenfalls erfolglos bleiben. Keine einzelne Person oder Organisation kann alles wissen oder tun – der Schlüssel liegt daher in der partnerschaftlichen Zusammenarbeit.
Es kommt allerdings darauf an, wie Partnerschaften gestaltet werden. Allzu oft setzen nationale Regierungen und internationale Organisationen ihre eigene strategische Planung um und involvieren lokale Gruppen lediglich als Implementierungspartner. Damit die Partnerschaften effektiver sind, müssen lokale Partner nicht nur bei der Umsetzung und Überwachung, sondern bereits bei der Konzipierung von Strategien und Projekten einbezogen werden.
Priorität 3: Ein ganzheitliches Arbeiten fördern
Wenn Frieden eine Voraussetzung für Ernährungssicherheit und Ernährungssicherheit eine Voraussetzung für Frieden ist und Resilienz angesichts des Klimawandels beides befördert, sollten Möglichkeiten gefunden werden, alle drei Themen gemeinsam zu adressieren. Partnerschaftliche Zusammenarbeit hilft dabei. Eine Möglichkeit, dies in einem konfliktbetroffenen Land umzusetzen, ist die Institutionalisierung der Zusammenarbeit in Form von Koordinierungsstellen für Ernährung und Frieden. Dieser Vorschlag, entstanden in Vorbereitung des UN-Gipfels zu Ernährungssystemen 2021, bezieht jene Organisationen ein, die sich für Ernährungssicherheit und Friedensförderung einsetzen – von Gemeinden über regionale und nationale Regierungen bis hin zu internationalen Stakeholdern. Ziel ist es dabei, sämtliche Akteure zusammenzubringen, den Zugang zu Ressourcen zu erleichtern und Zusammenarbeit zu fördern. Dieser Ansatz würde nicht nur verschiedene Akteure, sondern auch verschiedene Themen und Probleme auf fruchtbare Weise miteinander vernetzen.
Doch es müssen noch viele Fragen geklärt werden. Die Vernetzung der verschiedenen Akteure – ein Kernpunkt des Konzepts – funktioniert nur bei genügendem gegenseitigen Respekt und gemeinsamen Interessen. Fortschritte bei Frieden und Ernährungssicherheit werden das benötigen, was die Weltbank 2011 in ihrem wegweisenden Bericht „Conflict, Security, and Development“ als „ausreichend inklusive Koalitionen“ bezeichnet hat (World Bank 2011). In der Theorie lässt sich nur schwer beurteilen, ob Koalitionen und Partnerschaften ausreichend inklusiv sind. Das kann nur in der Praxis ermittelt werden: Wenn sie funktionieren, zeigt dies, dass sie adäquat sind. Akteure in Koordinierungsstellen für Ernährung und Frieden zusammenzubringen garantiert weder die Förderung des Friedens noch einer nachhaltigen Ernährungssicherheit. Solche Koordinierungsstellen sind nur ein Mittel, um das Wesentliche zu erreichen: gleichberechtigte Partnerschaften auf Augenhöhe, in die alle nötigen Beteiligten involviert sind.
Priorität 4: Finanzierungssilos auflösen
Die in diesem Artikel zum Ausdruck gebrachte Bedeutung sich überschneidender Risiken wird inzwischen immer stärker anerkannt. Keine internationale Konferenz zu diesen Themen wird geschlossen, ohne dass mehrere Minister*innen und andere hochrangige Offizielle verkünden, dass wir die Silos unterschiedlicher, aber eindeutig verwandter Themen in unserem Denken und Handeln niederreißen müssen. Auch wenn diese Ermahnung ein Klischee ist, wird sie dadurch nicht weniger wahr oder interessant. Solche Feststellungen sind offensichtlich, aber sie bleiben ohne Konsequenzen. Warum ist das so? Das liegt zum großen Teil daran, dass Fördergelder stets in separate Budgets fließen. Regierungen, Hilfsorganisationen und Geldgeber, die einen ganzheitlichen Ansatz propagieren, müssen daher die Art und Weise ihrer Mittelbereitstellung überprüfen und neue, stärker integrierte Finanzierungsmodelle erproben, die auf die Schnittstellen abzielen. Dazu benötigen sie einen Mechanismus, der dann genau an diesen Schnittstellen agieren kann – wie beispielsweise die Koordinierungsstellen für Ernährung und Frieden.