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Hunger und Ernährungssysteme in Konfliktgebieten

Hunger und Ernährungssysteme in Konfliktgebieten


   
Caroline Delgado und Dan Smith
Stockholm International Peace Research Institute
Oktober 2021
Foto: Welthungerhilfe/Stefanie Glinski 2018; Auf einem Dorfmarkt im Südsudan verkauft eine Frau Obst und Gemüse, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Durch die Stärkung der Existenzsicherheit tragen resiliente Ernährungssysteme zur Friedensförderung bei. Insbesondere in Konfliktgebieten spielen lokale Märkte daher eine bedeutende Rolle bei der Bewältigung von Konfliktfolgen. Ausblenden

Anmerkung: Dieses Kapitel gibt die Meinung der Autor*innen wieder und entspricht nicht notwendigerweise den Ansichten der Welthungerhilfe oder von Concern Worldwide.

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VIDEO: Die Gastautor*innen Caroline Delgado und Dan Smith vom Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) haben im Welthunger-Index 2021 den thematischen Essay geschrieben. Darin untersuchen sie die Wechselwirkung von Konflikt und Hunger sowie die Schritte, die nötig sind, um jene zu durchbrechen und zu Frieden und Ernährungssicherheit beizutragen.

 

Ohne Ernährungssicherheit ist eine nachhaltige Friedenssicherung kaum möglich, und ohne Frieden ist es unwahrscheinlich, den weltweiten Hunger zu beenden.

 

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ABBILDUNG 2.1

Kernbotschaften

  • Die Zahl gewaltsamer Konflikte nimmt zu. Sie sind nach wie vor der Haupttreiber von Hunger, der durch den Klimawandel und die Covid-19-Pandemie noch verschärft wird.

  • Ernährungssysteme in konfliktbetroffenen Ländern sind meist in hohem Maße informell, strukturschwach und krisenanfällig.

  • Ohne Ernährungssicherheit ist eine nachhaltige Friedenssicherung kaum möglich, und ohne Frieden ist es unwahrscheinlich, den weltweiten Hunger zu beenden.

  • Die Wechselwirkungen zwischen Konflikten und zunehmender Ernährungsunsicherheit sowie zwischen Frieden und nachhaltiger Ernährungssicherheit gestalten sich immer fallspezifisch und oft komplex.

  • Die gute Nachricht ist, dass die destruktiven Wirkmechanismen zwischen Konflikt und Hunger auch inmitten andauernder Konflikte durchbrochen werden können. Selbst dort, wo extrem hohe Vulnerabilität besteht, ist es möglich, Resilienz zu stärken.

  • Um die Wechselwirkung zwischen Konflikt und Hunger zu durchbrechen und das friedensförderliche Potenzial von Ernährungssystemen zu nutzen, sind Evidenz, fundierte Kenntnisse des jeweiligen Kontexts sowie Zusammenarbeit aller Beteiligten aus den Bereichen Friedensförderung, Humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit erforderlich.

  • Damit einerseits beim Aufbau resilienter Ernährungssysteme die Friedensförderung und andererseits bei der Friedensförderung die Ernährungssicherheit integriert wird, schlagen wir vier Prioritäten vor:

    1. einen flexiblen und agilen Ansatz, der lokale Perspektiven, Ambitionen und Bedenken widerspiegelt;
    2. eine verstärkte partnerschaftliche Zusammenarbeit, in die lokale, nationale und internationale Stakeholder ihr vielfältiges Wissen einbringen;
    3. eine ganzheitliche Herangehensweise mithilfe von Koordinierungsstellen, die relevante Stakeholder zusammenbringen, um inklusive Koalitionen für Frieden und Ernährungssicherheit zu bilden; und
    4. eine Auflösung von Finanzierungssilos durch die Hauptgeldgeber und Investitionen in ganzheitliche Arbeit.

Wechselwirkungen zwischen Konflikt und Hunger

Dysfunktionale Ernährungssysteme und die daraus resultierende Zunahme von Hunger gehören zu den drängendsten Problemen unserer Zeit. Die Welt bleibt weit hinter dem zurück, was nötig ist, um bis 2030 Zero Hunger zu erreichen, das zweite der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (United Nations, UN). Die Zahlen sind dramatisch: 2020 waren 155 Millionen Menschen von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen – ein Anstieg von fast 20 Millionen im Vergleich zum Vorjahr. Fast 30 Millionen Menschen drohten zu verhungern, das heißt, sie wussten nicht, woher ihre nächste Mahlzeit kommen sollte (FSIN and GNAFC 2021). Trotz der verheerenden Covid-19-Pandemie blieben auch 2020 gewaltsame Konflikte die Haupttreiber weltweiten Hungers (WFP USA 2021). Die Zahl der gewaltsamen Konflikte nimmt zu; derweil werden sie immer schwerwiegender und langwieriger (Pettersson and Öberg 2020). Darüber hinaus gibt es ein Muster für ihr verstärktes Auftreten etwa zwei bis drei Jahre nach einer schweren Wirtschaftskrise, wie es nach der Finanzkrise von 2008 bis 2009, der Finanzkrise in Asien von 1997 und dem Ölpreisschock Mitte der 1970er-Jahre der Fall war. Es gibt also berechtigten Grund zur Sorge, dass die Zahl der bewaffneten Konflikte in den nächsten zwei bis drei Jahren ansteigen könnte. Eine Liste der Länder mit den schlimmsten Ernährungskrisen beinhaltet eine Litanei gewaltgeplagter Krisenherde: Afghanistan, Demokratische Republik Kongo, Nigeria, Südsudan, Syrien, Jemen. Alle sind von andauernder Gewalt und Hunger in tragischem Ausmaß betroffen (FSIN and GNAFC 2021). In acht von zehn Ländern mit sehr ernsten oder gravierenden Hungerniveaus in diesem Bericht tragen Konflikte maßgeblich zum Hunger bei (Abbildung 2.1).

Derzeit verschlechtert sich die globale humanitäre Lage in rasantem Tempo. Das spiegelt sich in einem erhöhten Risiko für gewaltsame Konflikte, einer weltweit wachsenden Zahl hungernder Menschen, den zutage tretenden Folgen des Klimawandels und den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie wider. Diese hat in nur einem Jahr die Entwicklungserfolge mehrerer Jahrzehnte beschädigt und zudem die tiefste weltweite Rezession seit fast 100 Jahren ausgelöst (OCHA 2021a). Sie hat 2020 zwischen 88 und 115 Millionen Menschen in extreme Armut getrieben; weitere geschätzte 25 bis 35 Millionen könnten im Jahr 2021 ebenfalls in extreme Armut stürzen (World Bank 2020). Diese Tragödie ist ein schwerer Rückschlag nach jahrzehntelangen Fortschritten bei der Armutsbekämpfung. Zusätzlich wird der mittel- bis langfristige Horizont durch den Klimawandel und Extremwetterereignisse verdüstert, die ebenfalls Hungertreiber sind und das Konfliktrisiko in den kommenden Jahren erhöhen werden. Während schon die aktuelle Situation bedenklich ist, warnen die größten humanitären Organisationen vor einer noch schwierigeren humanitären Situation (Jochum 2020; OCHA 2021b; SIPRI 2020).

Die Wechselwirkungen zwischen Konflikt und Hunger sind hinlänglich bekannt und unbestritten (FSIN and GNAFC 2021; Holleman et al. 2017; Martin-Shields and Stojetz 2019). Konflikte haben verheerende Auswirkungen auf Ernährungssysteme, da sie „fast jeden Aspekt eines Ernährungssystems beeinträchtigen, von der Erzeugung über die Ernte, die Verarbeitung und den Transport bis hin zu der Versorgung mit Betriebsmitteln, Finanzierung, Vermarktung und dem Konsum“ (FAO, IFAD et al. 2021, 54). Fortdauernde Ernährungsunsicherheit gehört zu den Langzeitfolgen von Kriegen (Messer and Cohen 2007). Zugleich kann eine erhöhte Ernährungsunsicherheit zu gewaltsamen Konflikten beitragen. Ohne Ernährungssicherheit ist eine nachhaltige Friedenssicherung kaum möglich, und ohne Frieden ist es unwahrscheinlich, den weltweiten Hunger zu beenden. Die derzeitige Situation erfordert dringende, entschlossene und nachhaltige Maßnahmen.

Die gute Nachricht lautet, dass die destruktiven Wirkmechanismen zwischen Konflikt und Hunger auch inmitten andauernder Konflikte durchbrochen werden können. Selbst dort, wo extrem hohe Vulnerabilität besteht, ist es möglich, Resilienz zu stärken. Untersuchungen des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) zeigen, dass unterschiedlichste Akteure wie kommunale Gruppen, lokale und internationale Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die UN-Organisationen und Staaten vor allem durch koordinierte Zusammenarbeit die Bedingungen für Ernährungssicherheit und nachhaltigen Frieden schaffen können (Delgado et al. 2019; Delgado 2020; Delgado, Murugani, and Tschunkert 2021). Zumal selbst kleine Interventionen zu verminderter Vulnerabilität und zur Stärkung lokaler Friedenszonen beitragen können.

Vulnerabilität von Ernährungssystemen

Foto: Welthungerhilfe/HIHFAD 2019; Ein Kind kehrt in einem Lager für Binnenvertriebene im syrischen Idlib von einer kostenlosen Brotverteilung zurück. Die Ausgabe von Nahrungsmitteln adressiert die unmittelbaren Grundbedürfnisse, während längerfristige Maßnahmen wie der Bau oder die Sanierung von Bäckereien die Selbstversorgung wiederherstellen und Beschäftigungsmöglichkeiten in Zeiten langwieriger Konflikte schaffen. Ausblenden

Ernährungssysteme umfassen alle Menschen

Ernährungssysteme in konfliktbetroffenen Ländern sind in hohem Maße informell, strukturschwach und krisenanfällig. Um ihre Vulnerabilität zu erfassen, müssen wir zunächst verstehen, dass Ernährungssysteme alles umfassen, was mit der Erzeugung, dem Vertrieb, Konsum und der Entsorgung von Nahrungsmitteln verbunden ist, einschließlich der involvierten Menschen. Es ist hilfreich, sich Ernährungssysteme als eine Kombination aus vier einzelnen Systemen vorzustellen:

  • dem natürlichen System bestehend aus Erde, Wasser und Klima, das die grundlegenden Bedingungen für die Produktion von Nahrungsmitteln bestimmt;

  • dem landwirtschaftlichen System, einschließlich geernteter Feldfrüchte und gezüchteter Nutztiere;

  • dem Logistik- und Verteilungssystem das den Transport der Agrarprodukte vom Ursprungsort über die Märkte bis hin zur Abfallentsorgung gewährleistet; und

  • den sozialen und ökonomischen Systemen welche die (auch internationalen) Beziehungen zwischen Produzent*innen, Lieferant*innen und Konsument*innen determinieren.

Da Ernährungssysteme auch soziale Systeme sind und die in allen Gesellschaften bestehenden Ungleichheiten widerspiegeln, ist Ernährungssicherheit sehr anfällig gegenüber Herausforderungen wie Pandemien und Gewalt.

Gewaltsame Konflikte wirken sich direkt und indirekt auf Ernährungssysteme aus – mit erheblichen Folgen für den ländlichen Raum

In konfliktbetroffenen Ländern leben etwa 60 Prozent der Menschen in ländlichen Gebieten. Die Landwirtschaft bildet ihre zentra- le Existenzgrundlage, die Ernährungssysteme sind tendenziell lokal strukturiert und traditionell (Vos et al. 2020). Gewaltsame Konflikte haben darauf unmittelbare negative Auswirkungen, weil sie Menschen darin einschränken, Nahrungsmittel zu erzeugen, zu verkaufen und zu kaufen. Überdies können sie Ernährungssystemen auch mittelbar durch ihre Auswirkungen auf Gesundheits-, Energieund Transportsysteme schaden. In vielen Fällen überschneiden sich die Folgen gewaltsamer Konflikte und des Klimawandels, was die Risiken für und Krisenanfälligkeit von Gemeinden verschärft. In gleichem Maße haben Störungen im Ernährungssystem soziale Auswirkungen, denn extreme Umstände führen tendenziell dazu, dass die Gewaltbereitschaft von Menschen steigt. Ernährungsunsicherheit schafft Missstände, die zu Instabilität und gewaltsamen Konflikten eskalieren können, welche Unzufriedenheit über breitere sozioökonomische und politische Missstände kanalisieren.

In Konfliktgebieten florieren Schwarzmärkte

Bewaffnete Konflikte verschlechtern in der Regel das Funktionieren formeller Märkte ebenso wie die Kapazitäten und Präsenz der jeweiligen nationalen Regierung in konfliktbetroffenen Gebieten. Dieser doppelte Effekt hat drastische Konsequenzen für Ernährungssysteme. Es stehen weniger Ressourcen zur Verfügung – einschließlich landwirtschaftlicher Betriebsmittel wie Saatgut und Futtermittel – und die Regierungen sind weniger in der Lage, Maßnahmen wie Rationierungen und Preiskontrollen einzusetzen, um die Auswirkungen der Gewalt abzumildern. Gewaltsame Konflikte erschweren es Landwirt*innen, ihre Produkte auf den Markt zu bringen, und erhöhen die Kosten für Konsument*innen. Dieses Zusammentreffen verschiedener Faktoren führt zum Aufblühen von Schwarzmärkten. In vielen konfliktbetroffenen Gebieten wird ein Großteil der Transaktionen entlang von Lieferketten auf der Basis informeller Übereinkünfte bestimmt (Delgado, Murugani, and Tschunkert 2021). In Afghanistan zum Beispiel, wo die Ernährungssysteme durch jahrzehntelange bewaffnete Konflikte schwer beschädigt sind, fehlt es an formellen Märkten für landwirtschaftliche Betriebsmittel. Infolgedessen werden diese aus Nachbarländern eingeschmuggelt (Hiller, Hilhorst, and Weijs 2014). In ähnlicher Weise wird in Somalia seit dem Zusammenbruch des Regimes von Siad Barre im Jahr 1991 eine funktionierende informelle Volkswirtschaft aufrechterhalten, die von dem Viehsektor, Rücküberweisungen durch Migrant*innen und Geldtransfers dominiert ist. Der Viehsektor, der mehr als 60 Prozent der Bevölkerung mit Nahrung und Einkommen versorgt, ist aufgrund nicht registrierter Viehexporte nach Äthiopien und Kenia ein maßgeblicher Faktor für die florierende inoffizielle Volkswirtschaft (Maystadt and Ecker 2014).

Wenngleich informelle Märkte eine wichtige Funktion für konfliktbetroffene Gemeinden erfüllen können, können sie für Haushalte zugleich ein höheres Risiko und eine größere Krisenanfälligkeit bedeuten. Dies liegt daran, dass Kleinstbetriebe keinen Zugang zu Versicherungen, Krediten und Geldzuflüssen haben, um die Folgen unzuverlässiger Lieferketten und volatiler Preise abzufedern, die für informelle Märkte charakteristisch sind. Schlimmer noch: Kriegsökonomien, denen informelle Arrangements zugrunde liegen, können einen schädlichen Einfluss auf die Nachhaltigkeit des Friedens haben, auch nach Beendigung der Kämpfe (Pugh, Cooper, and Goodhand 2004).

Obwohl Venezuela mehr in einer wirtschaftlichen und politischen Krise als in einem offenen bewaffneten Konflikt steckt, stellt es ebenfalls ein typisches Beispiel dafür dar. Bis Mitte der 2010er-Jahre profitierte das Land von reichlich vorhandenen Erdölressourcen und einer relativ starken Volkswirtschaft. Als die Ölpreise 2014 zu sinken begannen, führte die daraus resultierende Krise binnen kürzester Zeit zu einem Anstieg der Ernährungsunsicherheit. Die Regierung reagierte darauf, indem sie vulnerablen Haushalten subventionierte Lebensmittelkisten zur Verfügung stellte. Korrupte Bedienstete leiteten diese Lebensmittelkisten jedoch auf den Schwarzmarkt um, wodurch sich die Nahrungsmittelknappheit weiter verschärfte und Zwischenhändler*innen sowohl von der Regierung als auch den Verbraucher*innen überhöhte Preise verlangten (Pielago 2020). Zur selben Zeit gab es Berichte, dass die Regierung die subventionierten Lebensmittel benutzte, um politische Loyalität zu belohnen (Rendon and Mendales 2018). Die humanitäre Krise hat viele Bürger*innen in kriminelle Aktivitäten gedrängt, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, was kriminelle Netzwerke stärkte. Als Folge davon haben sich Kriminalität und Gewalt in Venezuela rasend entwickelt; die Reichweite der organisierten Banden erstreckt sich mittlerweile auch auf das benachbarte Kolumbien und weitere Länder Mittelamerikas (van Roekel and de Theije 2020).

Das Problem eskalierender gewaltsamer Konflikte adressieren

Foto: Welthungerhilfe/Kai Loeffelbein 2015; Auf einem Markt in der Zentralafrikanischen Republik wartet eine Bäuerin auf Kundschaft, um ihr selbstangebautes Gemüse zu verkaufen. Ausblenden
Figure 2.2

 

Bis 2020 sind die Militärausgaben auf den höchsten Stand seit dem Ende des Kalten Krieges gestiegen, ebenso wie der internationale Handel mit schweren Waffen.

Gewaltsame Konflikte nehmen zu

Grundsätzlich kann Frieden eher dann geschaffen und erhalten werden, wenn er mit sicheren Existenzgrundlagen und Ernährungssicherheit einhergeht, und umgekehrt (Vos et al. 2020). Doch die aktuellen globalen, regionalen und nationalen Trends sind entmutigend und bedrohen die Verwirklichung des Ziels Zero Hunger und anderer globaler Nachhaltigkeitsziele bis 2030. Seit 2010 hat sich die globale Sicherheitslage signifikant verschlechtert. Im Jahr 2020 gab es weltweit 56 bewaffnete Konflikte zwischen Staaten untereinander oder zwischen Staaten und Rebellentruppen, 72 nichtstaatliche Konflikte (ohne Beteiligung von Staaten) und weitere 41, in denen der Staat oder eine Rebellenarmee der einzige Akteur und die Gegenpartei unbewaffnet war (UCDP 2020; Abbildung 2.2). Alle drei Konfliktformen haben in den letzten zehn Jahren deutlich zugenommen, wobei allein die Zahl nichtstaatlicher Konflikte um 148 Prozent gestiegen ist. Bis 2020 sind die Militärausgaben auf den höchsten Stand seit dem Ende des Kalten Krieges angewachsen, ebenso wie der internationale Handel mit schweren Waffen (Wezeman et al. 2020). Die zunehmende Schärfe in der Weltpolitik zeigt sich in den Dreiecksbeziehungen zwischen China, Russland und den Vereinigten Staaten und ihren jeweiligen Verbündeten (Smith 2018, 2019, 2020, 2021). Dieser internationale Kontext ist nicht förderlich für Zusammenarbeit oder Konfliktmediation.

Erholung ist langwierig und komplex

Es kann Jahrzehnte dauern, gewaltsame Konflikte zu überwinden und zu bewältigen. Kein Ende nimmt die Gewalt beispielsweise in Afghanistan, wo weltweit die zweithöchste Anzahl an Menschen lebt, die sich in einer humanitären Notfallsituation befinden (OCHA 2021c). Während sich Somalia zunächst langsam von der Ernährungsunsicherheit und Hungersnot im Jahr 2011 erholt hat, verschlechtert sich die Ernährungssituation nun erneut; inzwischen stehen mehr als eine halbe Million Menschen vor einer Hungersnot, größtenteils konfliktbedingt (WFP 2021b; FSIN and GNAFC 2021). Die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch (sie lag vor einigen Jahren bei 67 Prozent) und stellt ein zentrales Problem dar, da arbeitslose Jugendliche ein Hauptziel für Rekrutierungen durch extremistische Gruppierungen sind (World Bank 2015). Syrien und Jemen bilden weitere Beispiele für langwierige bewaffnete Konflikte mit schweren Krisen in Form von Ernährungsunsicherheit, katastrophalen Gesundheitslagen und sozialen Traumata (WFP 2021d,e). Die Unterstützung dieser Länder muss sich an den existenziellen Bedürfnissen der am schlimmsten betroffenen, notleidenden Gemeinden ausrichten, damit diese ihre Ernährungssicherheit möglichst bald wieder selbst gewährleisten können. Wenn nicht, wird der Leidenszyklus anhalten und möglicherweise ein Wiederaufleben gewaltsamer Konflikte befeuern (Strandh and Yusriza 2021; Vos et al. 2020). Wegen dieser Art Wiederholungsschleife und des Risikos des Wiederaufflammens von Konflikten braucht ein konfliktbetroffenes Land nach Einschätzung der Weltbank durchschnittlich 15 bis 30 Jahre, um sich vom Niveau Haitis, das 2020 im Index der menschlichen Entwicklung auf Platz 170 von 189 lag, auf das Niveau eines relativ gut funktionierenden Staates wie Ghana zu verbessern, das im selben Jahr auf Platz 138 lag (World Bank 2011; UNDP 2020).

Die Zusammenhänge zwischen Konflikten und steigender Ernährungsunsicherheit gestalten sich immer fallspezifisch und häufig komplex. Wie die angeführten Beispiele zeigen, sind die Ursachen für Ernährungsunsicherheit und gewaltsame Konflikte vielschichtig und interagieren auf verschiedene Weisen miteinander. Die Fähigkeit von Menschen und Gemeinden, Bedrohungen ihrer Existenzgrundlagen entgegenzutreten, ist ebenfalls spezifisch für jeden Kontext. Um die Wechselwirkung zwischen Konflikt und Hunger zu durchbrechen und das friedensförderliche Potenzial von Ernährungssystemen zu nutzen, sind Evidenz, fundierte Kenntnisse des jeweiligen Kontexts sowie Zusammenarbeit aller Beteiligten aus den Bereichen Friedensförderung, Humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit erforderlich.

Wie Friedensfortschritte erzielt werden

Foto: Welthungerhilfe/Stefanie Glinski 2018; Auf dem Rückweg von einer Lebensmittelverteilung in einem Lager für Geflüchtete in Bentiu, Südsudan, trägt ein vierzehnjähriger Junge Hirse nach Hause. Ausblenden
The World Food Programme's Contribution to Improving the Prospects for Peace in Colombia
Im Zuge des Friedensvertrags zwischen der kolumbianischen Regierung und den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC) im Jahr 2016 halfen kleinteilige Interventionen zur Existenzsicherung bei der Wiedereingliederung ehemaliger FARC-Kämpfer*innen.
The World Food Programme’s Contribution to Improving the Prospects for Peace in El Salvador
Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen für benachteiligte Jugendliche in von Banden kontrollierten Gebieten in San Salvador, zusammen mit Gastronomie- und Einzelhandelsbetrieben durchgeführt, reduzierten die Rekrutierungserfolge der Banden.

Fortschritte sind erwiesenermaßen möglich

Studien zeigen, dass Fortschritte auch unter ungünstigsten Umständen möglich sind. Die Forschung von SIPRI über die friedensfördernde Wirkung der Arbeit des UN-Welternährungsprogramms (World Food Programme – WFP) legt nahe, dass selbst in einem ungünstigen weltpolitischen Kontext Anstrengungen unternommen werden können, um mittels resilienter Ernährungssysteme den Frieden voranzubringen (Delgado et al. 2019). Eine Ausweitung dieser Bemühungen könnte greifbare Fortschritte hervorbringen oder gar die ambitioniertesten Ziele wahr werden lassen.

Im Nordosten Nigerias leben viele Gemeinschaften in Gebieten, die von nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen kontrolliert werden. Jene Menschen, die entkommen konnten, sind größtenteils in Garnisonsstädte geflohen, die von Verteidigungsgräben umgeben sind. Nachdem sie den Zugang zu ihren Existenzgrundlagen verloren haben, sind sie jetzt auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Die Gefahr einer Hungersnot wächst stetig. Humanitäre Organisationen implementieren jedoch kleine Gegenmaßnahmen zur Resilienzstärkung, indem sie die Haushalte beim Anbau von Nahrungspflanzen in den Gräben unterstützen. Obwohl die meisten Menschen immer noch auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind, hilft ihnen diese Aktivität, ihren unmittelbaren Bedarf zu decken und den Verlust von Kenntnissen und Fertigkeiten, die von Generation zu Generation weitergegeben werden, zu verhindern. Sie sorgt überdies für Beschäftigung und fördert das Gefühl der Verbundenheit mit der Gemeinschaft. Darüber hinaus deuten die Forschungen von SIPRI darauf hin, dass die dadurch geschaffene Hoffnung auf eine bessere Existenzgrundlage in der Region dazu beiträgt, die Rekrutierungserfolge nichtstaatlicher bewaffneter Gruppen zu senken (Delgado, Tschunkert, and Riquier 2021).

Ähnliche Befunde zeigten sich in abgelegenen Gebieten Kolumbiens. Im Zuge des Friedensvertrags zwischen der kolumbianischen Regierung und den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC) im Jahr 2016 halfen kleinteilige Interventionen zur Existenzsicherung bei der Wiedereingliederung ehemaliger FARC-Kämpfer*innen. Die lokale Produktion von Tierfutter begünstigte die auskömmliche Haltung kleiner Nutztiere. Neben lokalen Landwirt*innen wurden auch ehemalige Kämpfer*innen in klimaresistenten Anbaumethoden und Vermarktung ausgebildet. Das mit den Projekten verdiente Geld wurde als Lohn ausgezahlt, während zusätzliche Gewinne in Bauvorhaben der Gemeinden reinvestiert wurden. Diese Aktivitäten schafften neben Beschäftigung auch ein Gefühl der Verbundenheit unter den ehemaligen Kämpfenden. Dies ist für die Aufrechterhaltung ihrer Motivation, Teil des Friedensprozesses zu bleiben, von entscheidender Bedeutung, insbesondere weil einige nichtstaatliche bewaffnete Gruppen weiterhin lukrative Alternativen bieten. Der Einsatz der Ex-Kämpfer*innen in den Projekten, ihre Führungsqualitäten und ihr Bekenntnis zum Frieden waren wichtige Katalysatoren für eine breite Beteiligung der Gemeinden und entscheidende Elemente im Versöhnungs- und Wiedereingliederungsprozess. Darüber hinaus steigerte die Intervention den wirtschaftlichen Wert lokaler verderblicher Erzeugnisse; sie erzeugte lokale Märkte in einem Gebiet, das weitgehend von größeren Märkten abgeschnitten war, was es den Gemeindemitgliedern ermöglichte, ihre Produktion zu diversifizieren sowie Einkommen, Nahrungsaufnahme und Ernährungssicherheit zu erhöhen; und sie stärkte die Resilienz der Gemeinden gegenüber den Folgen des Klimawandels (Delgado 2020).

Ähnliche Projekte können auch in gewaltbetroffenen städtischen Gebieten dazu beitragen, nachhaltige und gerechte lokale Ernährungssysteme aufzubauen. Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen für benachteiligte Jugendliche in von Banden kontrollierten Gebieten in San Salvador, zusammen mit Gastronomie- und Einzelhandelsbetrieben durchgeführt, reduzierten die Rekrutierungserfolge der Banden. In diesem Zusammenhang muss jedoch erwähnt werden, dass der Aufbau von Kapazitäten und die Qualifizierung Jugendlicher zur Verbesserung ihrer Beschäftigungsmöglichkeiten die unbeabsichtigte Folge haben können, irreguläre Migration ins Ausland zu befördern. Denn als Koch oder Köchin verdient man in El Salvador im Durchschnitt 300 US-Dollar pro Monat, während ein ähnlicher Job in den Vereinigten Staaten mit durchschnittlich 500 Dollar pro Woche entlohnt wird. Landesweit treten in El Salvador jährlich mehr als 360.000 junge Menschen in den Arbeitsmarkt ein, wohingegen im gleichen Zeitraum lediglich 127.000 Arbeitsplätze geschaffen werden (ECLAC 2019). Wirtschaftsmigration kann zwar grundsätzlich positiv sein, dennoch besteht die Gefahr, dass durch irreguläre Migration Menschen in Transit- und Zielländern schweren Verletzungen ihrer Menschen- und Bürgerrechte ausgesetzt sind (Delgado 2019).

Diese Beispiele veranschaulichen einige der Möglichkeiten zur Stärkung von Ernährungssystemen und zur Schaffung friedensfördernder Bedingungen. Nachhaltige, gerechte Ernährungssysteme bieten Ernährungssicherheit und begrenzen gleichzeitig negative Umweltauswirkungen. Sie zeichnen sich durch soziale Inklusion aus und verbessern das allgemeine Wohlergehen. Damit tragen sie zu einer umfassenden Resilienz der Gemeinden bei, sodass diese gut auf Herausforderungen wie den Klimawandel, Extremwetterereignisse, wirtschaftliche Schocks und das Risiko gewaltsamer Konflikte reagieren können (CIAT 2019; Policy Link 2021). Weil Ernährungssysteme soziale (ebenso wie natürliche, landwirtschaftliche und logistische) Systeme sind, erfordert ihre Stärkung weit mehr als Fachwissen und Ressourcen. Insbesondere für diejenigen, die Interventionen aus dem Ausland durchführen oder unterstützen, sind kontextuelles Wissen und Sensibilität für Konfliktrisiken unerlässlich.

Unbeabsichtigte Folgen bergen Risiken

Obgleich Fortschritte immer möglich sind, ist stets Vorsicht geboten. Das Risiko unbeabsichtigter Folgen, wie sie bei den Gastronomieprojekten in San Salvador zu beobachten waren, tritt vielerorts auf unterschiedliche Weise auf. In den kolumbianischen Agrarprojekten könnte die erfolgreiche Wiedereingliederung ehemaliger Kämpfer*innen letztlich von grundlegenden sozialen Veränderungen abhängen; sollten diese indes nicht eintreten, könnte es zu Rückschlägen kommen. Darüber hinaus sind projektbasierte Interventionen nicht unbedingt nachhaltig, mitunter erzeugen sie sogar eine Abhängigkeit von Hilfe. Die Verbesserung der Ernährungssicherheit erhöht zwar die Aussicht auf Frieden, garantiert ihn aber nicht; jede Rückkehr gewaltsamer Konflikte erzeugt Anfälligkeit für Ernährungsunsicherheit – und dieses Risiko erneuter Konflikte ist immer vorhanden. In einer Studie der Weltbank wurde aufgezeigt, dass von den 103 Ländern, die in den 65 Jahren nach 1945 einen Bürgerkrieg erlebt haben, nur 44 nach dem Friedensschluss einen Rückfall vermieden haben; tatsächlich sind die meisten aktuellen Bürgerkriege in der einen oder anderen Weise Fortsetzungen früherer gewaltsamer Konflikte (Walter 2011). Alle, die Frieden schaffen wollen, sollten diese Risiken nicht außer Acht lassen. Im ländlichen Kolumbien sehnte sich eine Gemeinde, die frühere FARC-Kämpfer*innen integriert hatte, nach einer Verbesserung ihrer Infrastruktur. Aus Angst vor Vergeltungsangriffen anderer nichtstaatlicher bewaffneter Gruppen lehnten sie jedoch den Bau einer Straße zu ihrer Gemeinde ab (Delgado 2020).

Gemeinsam Konflikt und Hunger bekämpfen

Foto: Concern Worldwide/George Henton 2020; Kinder spielen im Park des Lagers Karbato, Irak. Die Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen wie Müllabfuhr und Wasserversorgung in dem Lager hat die Lebensqualität der Familien verbessert. Ausblenden
Conflict, Security and Development
Fortschritte bei Frieden und Ernährungssicherheit werden das benötigen, was die Weltbank 2011 in ihrem wegweisenden Bericht „Conflict, Security, and Development“ als „ausreichend inklusive Koalitionen“ bezeichnet hat.

Die Komplexität von Ernährungssystemen sowie von Konflikten und Friedensförderung stellt eine große Herausforderung dar. Für einzelne Organisationen und Institutionen in den Bereichen Ernährungssicherheit und Friedensförderung ist es schwierig, die Vielfalt der Akteure, die Vielzahl der Ebenen, Prozesse und Wechselwirkungen in vollem Umfang zu berücksichtigen. Die Komplexität dieser Aufgabe ist jedoch kein Grund, es nicht zu versuchen. Als Mindestmaß sollte sichergestellt werden, dass die Nahrungsmittelhilfe mit Sensibilität für den Konflikt geleistet wird. Bei der wesentlich ambitionierteren Arbeit an den miteinander verknüpften Zielen nachhaltige Ernährungssicherheit und nachhaltiger Frieden geht es nicht nur darum, keinen Schaden anzurichten, sondern auch, Gutes zu bewirken. Mit diesem Essay rufen wir dazu auf, beim Aufbau resilienter Ernährungssysteme die Friedensförderung und bei der Friedensförderung die Ernährungssicherheit zu integrieren. Damit dieses Ziel erreicht wird, haben wir vier Prioritäten definiert.

Priorität 1: Einen flexiblen und agilen Ansatz verfolgen

Die Kenntnis des jeweiligen lokalen Kontexts ist von entscheidender Bedeutung. Was unter Frieden verstanden wird, kann sich entlang ethnischer, konfessioneller, regionaler oder politischer Linien stark unterscheiden, wobei auch die Wahrnehmung von Gefahren und Problemen sehr variieren kann (Kanbur, Rajaram, and Varshney 2010; McKeown, Cavdar, and Taylor 2019). Die Friedensdefinition der einen Gruppe zu nutzen, kann zu Konflikten mit einer anderen führen. Auch die Problemstellungen verändern sich im Laufe der Friedensarbeit und neue Schwierigkeiten treten auf. Parallel dazu stehen Gemeinden vor neuen Herausforderungen – sei es ein Extremwetterereignis, eine Rezession, ein gewaltsamer Konflikt in der Nachbarregion oder eine Pandemie – und die Reaktionen darauf können entscheidend dafür sein, ob die Aussichten auf Frieden erhalten oder untergraben werden. Ebenso sind Ernährungssysteme in hohem Maße kontextabhängig; ihre Sicherung birgt die verschiedensten Herausforderungen, weswegen sie flexibel und reaktionsschnell unterstützt werden müssen.

Schlussendlich werden Ernährungssysteme und Frieden durch das Zusammenwirken verschiedenster Prozesse und Dynamiken erzeugt und durch eine Reihe unterschiedlicher Risikofaktoren gefährdet. Daher müssen Maßnahmen zur Friedensförderung im Rahmen solcher zur Ernährungssicherung flexibel und agil sein, damit sie an veränderte Bedingungen und Anforderungen angepasst werden können.

Priorität 2: Auf partnerschaftliche Zusammenarbeit setzen

Obwohl es von entscheidender Bedeutung ist, den lokalen Kontext zu verstehen, reicht dies allein nicht aus. Auch das Wissen, was in anderen Kontexten erfolgreich war, was nicht funktioniert und was Probleme verursacht hat, ist unabdingbar. Dafür sind Partnerschaften entscheidend. Die Kenntnisse der Menschen, Gruppen und Organisationen, die die Situation vor Ort umfänglich kennen, müssen mit dem in verschiedenen Kontexten durch Forschung und bei Maßnahmen erzeugten Wissen zusammengeführt werden. Nationale Regierungen und internationale Organisationen, seien es NGOs oder UN-Organisationen, können ohne lokale Partner nicht erfolgreich sein, und umgekehrt werden lokale Partner wahrscheinlich allein ebenfalls erfolglos bleiben. Keine einzelne Person oder Organisation kann alles wissen oder tun – der Schlüssel liegt daher in der partnerschaftlichen Zusammenarbeit.

Es kommt allerdings darauf an, wie Partnerschaften gestaltet werden. Allzu oft setzen nationale Regierungen und internationale Organisationen ihre eigene strategische Planung um und involvieren lokale Gruppen lediglich als Implementierungspartner. Damit die Partnerschaften effektiver sind, müssen lokale Partner nicht nur bei der Umsetzung und Überwachung, sondern bereits bei der Konzipierung von Strategien und Projekten einbezogen werden.

Priorität 3: Ein ganzheitliches Arbeiten fördern

Wenn Frieden eine Voraussetzung für Ernährungssicherheit und Ernährungssicherheit eine Voraussetzung für Frieden ist und Resilienz angesichts des Klimawandels beides befördert, sollten Möglichkeiten gefunden werden, alle drei Themen gemeinsam zu adressieren. Partnerschaftliche Zusammenarbeit hilft dabei. Eine Möglichkeit, dies in einem konfliktbetroffenen Land umzusetzen, ist die Institutionalisierung der Zusammenarbeit in Form von Koordinierungsstellen für Ernährung und Frieden. Dieser Vorschlag, entstanden in Vorbereitung des UN-Gipfels zu Ernährungssystemen 2021, bezieht jene Organisationen ein, die sich für Ernährungssicherheit und Friedensförderung einsetzen – von Gemeinden über regionale und nationale Regierungen bis hin zu internationalen Stakeholdern. Ziel ist es dabei, sämtliche Akteure zusammenzubringen, den Zugang zu Ressourcen zu erleichtern und Zusammenarbeit zu fördern. Dieser Ansatz würde nicht nur verschiedene Akteure, sondern auch verschiedene Themen und Probleme auf fruchtbare Weise miteinander vernetzen.

Doch es müssen noch viele Fragen geklärt werden. Die Vernetzung der verschiedenen Akteure – ein Kernpunkt des Konzepts – funktioniert nur bei genügendem gegenseitigen Respekt und gemeinsamen Interessen. Fortschritte bei Frieden und Ernährungssicherheit werden das benötigen, was die Weltbank 2011 in ihrem wegweisenden Bericht „Conflict, Security, and Development“ als „ausreichend inklusive Koalitionen“ bezeichnet hat (World Bank 2011). In der Theorie lässt sich nur schwer beurteilen, ob Koalitionen und Partnerschaften ausreichend inklusiv sind. Das kann nur in der Praxis ermittelt werden: Wenn sie funktionieren, zeigt dies, dass sie adäquat sind. Akteure in Koordinierungsstellen für Ernährung und Frieden zusammenzubringen garantiert weder die Förderung des Friedens noch einer nachhaltigen Ernährungssicherheit. Solche Koordinierungsstellen sind nur ein Mittel, um das Wesentliche zu erreichen: gleichberechtigte Partnerschaften auf Augenhöhe, in die alle nötigen Beteiligten involviert sind.

Priorität 4: Finanzierungssilos auflösen

Die in diesem Artikel zum Ausdruck gebrachte Bedeutung sich überschneidender Risiken wird inzwischen immer stärker anerkannt. Keine internationale Konferenz zu diesen Themen wird geschlossen, ohne dass mehrere Minister*innen und andere hochrangige Offizielle verkünden, dass wir die Silos unterschiedlicher, aber eindeutig verwandter Themen in unserem Denken und Handeln niederreißen müssen. Auch wenn diese Ermahnung ein Klischee ist, wird sie dadurch nicht weniger wahr oder interessant. Solche Feststellungen sind offensichtlich, aber sie bleiben ohne Konsequenzen. Warum ist das so? Das liegt zum großen Teil daran, dass Fördergelder stets in separate Budgets fließen. Regierungen, Hilfsorganisationen und Geldgeber, die einen ganzheitlichen Ansatz propagieren, müssen daher die Art und Weise ihrer Mittelbereitstellung überprüfen und neue, stärker integrierte Finanzierungsmodelle erproben, die auf die Schnittstellen abzielen. Dazu benötigen sie einen Mechanismus, der dann genau an diesen Schnittstellen agieren kann – wie beispielsweise die Koordinierungsstellen für Ernährung und Frieden.

Fazit

Foto: Concern Worldwide/Ollivier Girard 2021; Gemeinsam mit ihrem Sohn bereitet Sadi Oumale ihr Feld in der Nähe des Dorfes Allela, Niger, auf den Beginn der Regenzeit vor. Ausblenden

Mit Flexibilität, Anpassungsfähigkeit, Sensibilität für lokale Sichtweisen ebenso wie Respekt vor lokal vorhandenem Wissen, einer neuen Betonung von Partnerschaften, ganzheitlichen Maßnahmen durch Koordinierungsstellen für Ernährung und Frieden sowie nicht zuletzt einer angemessenen Finanzierung kann der Aufbau einer resilienten Ernährungssicherheit gelingen. Umfassender Wandel besteht aus unmittelbaren, konkreten Schritten, die einer klaren Priorisierung folgen. Wenngleich der globale Kontext nicht sonderlich günstig ist, können auch jetzt durchaus Maßnahmen ergriffen werden, um den Teufelskreis aus Konflikt und Hunger zu durchbrechen.

 

Fußnoten

  1. In diesem Essay verwenden wir „gewaltsamer Konflikt“ als Oberbegriff für politische und kriminelle Konflikte, die mit Gewalt ausgetragen werden. Dazu zählen zwischenstaatliche Kriege, Revolutionen, Revolten, Völkermorde und Bürgerkriege, aber auch kriminelle, politische und religiös motivierte Gewalt. Gewaltsame Konflikte betreffen Länder selten gleichmäßig, denn innerhalb eines konfliktbetroffenen Landes gibt es oft Regionen mit relativem Frieden und gewisser Stabilität.  
  2. Basierend auf Statistiken aus dem Uppsala Conflict Data Program (https://ucdp.uu.se/), zitiert nach Smith (2021, 19).  
  3. Unter Resilienz kann die Fähigkeit von Personen, Haushalten, Gemeinschaften, Städten, Institutionen, Systemen und Gesellschaften verstanden werden, Risiken – gleich welcher Art – zu verhindern, abzufangen, zu widerstehen, sich ihnen anzupassen, auf sie zu reagieren und sich nach ihrem Eintreten gut, effizient und wirksam von ihnen zu erholen. Dabei erhalten sie ein akzeptables Funktionsniveau aufrecht, sodass die langfristigen Aussichten auf nachhaltige Entwicklung, Frieden und Sicherheit, Wahrung der Menschenrechte und Wohlergehen für alle nicht gefährdet sind (UN 2020).  
  4. Näheres dazu in: Delgado, Murugani, and Tschunkert (2021, note 11).