Im Welthunger-Index (WHI) 2018 liegt der Wert für Kenia bei 23,2 und damit am unteren Ende der Schweregradstufe ernst. Dies stellt allerdings eine deutliche Verbesserung gegenüber dem Jahr 2000 dar, als der Wert bei 36,5 lag und als sehr ernst eingestuft wurde. Kenia hat 2018 den niedrigsten WHI-Wert von allen Ländern Ostafrikas, mit Ausnahme der kleinen Inselnation Mauritius, des einzigen Landes, das im oberen Bereich des mittleren Einkommensniveaus in der Region angesiedelt ist.
Auf nationaler Ebene wird seit dem Jahr 2000 ein Rückgang aller WHI-Indikatorwerte verzeichnet (Abbildung 2). Die Sterblichkeitsrate kenianischer Kinder unter fünf Jahren ist seit 2000 kontinuierlich gesunken (UN IGME 2017). Die Unterernährungsrate Kenias, die den Anteil der Bevölkerung ohne ausreichende Kalorienzufuhr widerspiegelt, ist zwar zwischen 2001/2003 und 2013/2015 stetig zurückgegangen, seitdem aber angestiegen (FAO 2018b). Diese Zunahme fällt mit der Dürre zwischen 2016 und 2017 zusammen, unter der Kenia und seine Nachbarländer zu leiden hatten, und die zu einem Rückgang der Agrarproduktion sowie einem Anstieg der Nahrungsmittelpreise führte (FEWSNET 2017a, 2017b). Ebenfalls deutlich zurückgegangen sind Wachstumsverzögerung und Auszehrung bei kenianischen Kindern. War zwischen 2008/2009 noch jedes dritte Kind (35,2 Prozent) unter 5 Jahren wachstumsverzögert und 7,0 Prozent ausgezehrt, ist der Anteil 2014 auf ein Viertel (26 Prozent) bzw. auf 4,0 Prozent gefallen (KNBS and ICF Macro 2010; KNBS et al. 2015).
Die Werte zwischen einzelnen Regionen und Counties variieren jedoch beträchtlich und liegen teilweise noch immer deutlich über dem nationalen Durchschnitt. Die höchsten Wachstumsverzögerungsraten wurden im Kitui County mit 45,8 Prozent und im West-Pokot County mit 45,9 Prozent festgestellt (KNBS et al. 2015). Obwohl in diesen Counties eine hohe Armutsrate zu verzeichnen ist
(48 bzw. 57 Prozent, basierend auf nationalen Armutsgrenzen), steht Wachstumsverzögerung in Kenia nicht in direktem Zusammenhang mit der Armutsquote. Vielmehr wird sie durch eine Reihe komplexer Faktoren beeinflusst, wie z. B. durch Ernährungsvielfalt, Ernährungs- und Fürsogepraktiken für Säuglinge und Kleinkinder, Zugang zu angemessenen Sanitäranlagen sowie durch Krankheiten (KNBS 2018; Eberwein et al. 2016). Die Auszehrungsraten sind in den nördlichsten Counties Kenias am höchsten: So sind es 22,9 Prozent in Turkana, 16,3 Prozent in Marsabit, 14,8 Prozent in Mandera,
14,3 Prozent in West-Pokot und 14,2 Prozent in Wajir (KNBS et al. 2015). Die Counties, in denen Pastoralismus weit verbreitet ist, sind arid oder semiarid und weisen hohe Armutsraten auf (Krätli and Swift 2014; KNBS and SID 2013). Darüber hinaus ist die Verwendung von Verhütungsmitteln wenig verbreitet und der Bildungsstand der Frauen in diesen Counties niedrig, die Fruchtbarkeitsraten hingegen hoch (KNBS et al. 2015).
Der Ernährungszustand von Kindern ist eng mit der Bildungs- und Alphabetisierungsrate der Mütter verknüpft, was in Kenia besonders deutlich wird (Ruel, Alderman, and Maternal and Child Nutrition Study Group 2013). Eine in den informellen Siedlungen von Nairobi durchgeführte Studie lässt darauf schließen, dass die Bildung von Müttern den Ernährungszustand der Kinder stark vorherbestimmt, selbst wenn andere sozioökonomische und demografische Faktoren berücksichtigt werden (Abuya, Ciera, and Kimani-Murage 2012). Neueste Daten aus Kenia zeigen, dass Wachstumsverzögerung bei Kindern, deren Mütter keine formale Bildung erhalten haben, 31 Prozent betrug, während sie sich bei Kindern, deren Mütter mindestens einen Sekundarschulabschluss vorweisen konnten, nur auf 17 Prozent belief (KNBS et al. 2015). Die Ernährung von Kindern ist ferner eng mit dem Ernährungszustand der Mütter verknüpft. Eine im ländlichen Kenia vorgenommene Studie zeigte einen positiven Zusammenhang zwischen der Ernährung von Müttern und dem Ernährungszustand der Kinder in Bezug auf anthropometrische Maße (Gewa, Ottugu, and Yandell 2012).
Da Kenia Anstrengungen unternimmt, die Unterernährung von
Kindern weiter zu reduzieren und die Situation in den Counties mit
anhaltenden Schwierigkeiten zu verbessern, ist es entscheidend, die
Ernährungspraktiken für Säuglinge und Kleinkinder anzugehen. Die
Stillpraktiken haben sich in Kenia deutlich verbessert: So wurden 2014
61 Prozent der Kinder unter sechs Monaten ausschließlich gestillt,
gegenüber nur 32 Prozent in den Jahren 2008/2009 (KNBS et al.
2015; KNBS and ICF Macro 2010). Zugleich erhielten 2014 lediglich
22 Prozent der Kinder im Alter zwischen sechs und 23 Monaten eine
„angemessene Mindesternährung“ (KNBS et al. 2015).
Die meisten Studien zur Ernährungssicherheit in Kenia haben
sich traditionell auf ländliche Gebiete konzentriert, in denen
die Unterernährung bei Kindern tendenziell höher ist als in
städtischen Gebieten. Gleichwohl wird die Einwohnerschaft immer
urbaner, sodass Ernährungsunsicherheit und Unterernährung in Städten
zunehmend Anlass zur Sorge bereiten (KNBS et al. 2015; WFP 2010;
Concern Worldwide 2017). Stark gestiegene Nahrungsmittelpreise
bedeuten für StadtbewohnerInnen eine Gefahr, weil so der Zugang
zu Nahrungsmitteln erschwert wird. Außerdem sind städtische
Bevölkerungsgruppen anfällig für Krankheiten und haben möglicherweise
keinen ausreichenden Zugang zu sauberem Wasser sowie zu
Sanitär- und Hygieneeinrichtungen (WFP 2010; Concern Worldwide
2017). überdies ging die Kindersterblichkeit zwischen 1993 und
2008 in Kenias Städten viel langsamer zurück als auf dem Land;
möglicherweise wegen der miserablen Lebensbedingungen in städtischen
Siedlungsgebieten (Kimani-Murage et al. 2014). Im Jahr 2014
verzeichnete Nairobi die zweithöchste Kindersterblichkeitsrate aller
kenianischen Regionen (Tabelle 1).