Wir leben am Abgrund. Wir verstehen nicht, was in Tana* passiert. Den Politikern dort ist es egal, was mit der Küstenbevölkerung geschieht. Viele Lebensmittel sind so teuer geworden, dass wir nur sehr kleine Mengen davon essen, sogar Fisch. Wir essen sehr einfache Sachen, Reis und öfter Cassava.
Die Weltgemeinschaft ist zurzeit mit zwei Krisen konfrontiert: der Nahrungsmittelpreiskrise und der Finanzkrise. Beide Krisen haben maßgeblichen Einfluss auf Ernährungssicherheit und auf finanzielle und wirtschaftliche sowie politische Stabilität. Da die Entwicklungsländer heute aufgrund von internationalen Handelbeziehungen, Investitionsströmen und Rücküberweisungen stärker in die Weltmärkte integriert sind als in der Vergangenheit, werden die jüngsten Entwicklungen sie härter treffen als vergangene Krisen.
Die Armen und Hungernden werden die Auswirkungen stärker spüren, da viele von ihnen heute enger mit der Gesamtwirtschaft verzahnt sind. Das Internationale Forschungsinstitut für Ernährungspolitik (IFPRI) geht davon aus, dass infolge der Rezession und des damit verbundenen Investitionsrückgangs in der Landwirtschaft im Jahr 2020 16 Millionen Kinder zusätzlich von Unterernährung betroffen sein könnten (von Braun 2008). Bei Kindern können schon Phasen zeitweiliger Unterernährung schwerwiegende Folgen haben: Unterernährung im Kindesalter führt zu einer Beeinträchtigung der physischen und kognitiven Entwicklung und hat Konsequenzen für das Einkommen im Erwachsenenalter (Hoddinott et al. 2008). Die Krisen werden daher noch lange, nachdem die Nahrungsmittelpreise wieder gesunken sind und die Welt sich von der Finanzkrise erholt hat, negative Auswirkungen auf das Leben und die wirtschaftliche Perspektive der Menschen haben.
Es gibt verschiedene Kanäle, über die die Finanzkrise und der daraus folgende Wirtschaftsabschwung in den Entwicklungsländern und Übergangsökonomien ankommen:
Die genannten Faktoren sind für die einzelnen Länder von unterschiedlicher Bedeutung, und sie haben je nach Land unterschiedlich starke Auswirkungen. Sinkende Terms of Trade beispielsweise treffen exportorientierte Rohstoffnationen härter; das Ausbleiben von Rücküberweisungen dagegen hat etwa in lateinamerikanischen Ländern schwerere Konsequenzen. Der Dominoeffekt von Weltfinanzkrise und Wirtschaftsabschwung (wie die Übertragung der Finanzkrise auf andere Wirtschaftssektoren und Einbrüche bei den Regierungseinnahmen) verstärkt die negativen Auswirkungen für die Armen und Hungernden.
Der Internationale Währungsfonds (IMF) hat die makroökonomische Anfälligkeit einkommensschwacher Länder gegenüber der Finanzkrise unter vier Aspekten untersucht: Handel, ausländische Direktinvestitionen, Entwicklungshilfegelder und Rücküberweisungen (IMF 2009). Je nachdem, wie stark die Länder von der Finanzkrise und dem Wirtschaftsabschwung betroffen sind, wurden sie in Kategorien hoher, mittlerer oder geringer Gefährdung eingestuft.
Ich habe einen Sohn, der in Russland als Migrant lebt. Er hat mir in den letzten zwei Jahren geholfen. Er hat regelmäßig Geld geschickt, und mit diesem Geld haben wir unser Haus repariert, eine Satellitenschüssel gekauft und die Hochzeit meiner Tochter ausgerichtet. Seit sechs Monaten hat er nichts mehr geschickt und sagt, er hat keinen Job dort. Nachbarn sagen, dass viele Leute Angst davor haben, jetzt nach Russland zu gehen. Sie haben Angst, dass sie keinen Job finden können.
Wie in der Tabelle auf Seite 18 zu erkennen ist, zählen die Länder mit dem höchsten Hungerniveau gleichzeitig zu den Ländern, die durch den globalen Abschwung am stärksten gefährdet sind. Zwei Länder, in denen die Hungersituation alarmierend ist, Burundi und die Demokratische Republik Kongo, sind auch durch die weltweite Rezession hoch gefährdet. Während der Rückgang von Entwicklungshilfegeldern die größte Gefährdung für Burundi darstellt, ist die Demokratische Republik Kongo am stärksten durch sinkende Erdöleinnahmen bedroht. Auch die Mehrheit der Länder mit einem WHI-Wert zwischen 20,0 und 29,9 (Hungersituation sehr ernst) ist durch die Rezession einer starken bis mittleren Gefährdung ausgesetzt. Die Analyse zeigt ferner, in welchen Ländern Maßnahmen ergriffen werden müssen, damit einer weiteren Verschärfung des Hungers vorgebeugt werden kann. Übergangsökonomien mit einem niedrigen WHI- Wert 2009 (das heißt einer relativ günstigen Hungersituation) – Albanien, Kroatien, Kirgisistan und Moldawien – sind sehr anfällig gegenüber den Auswirkungen von Finanzkrise und Rezession und müssten Maßnahmen ergreifen, um das erreichte Niveau an Ernährungssicherheit zu halten.
Auf mikroökonomischer Ebene bewirkt die Finanzkrise einen Rückgang der Nachfrage nach Nahrungsmitteln, was dazu geführt hat, dass die Nahrungsmittelpreise gefallen sind. Im Vergleich mit dem Preisniveau um die Jahrtausendwende sind die Weltmarktpreise für Nahrungsmittel jedoch nach wie vor hoch, und gerade in Entwicklungsländern sind die Preise bisher kaum wieder gefallen. Die Finanzkrise und der globale Abschwung verschärfen die Lebenssituation der Armen und Hungernden weiter: Ungelernte Arbeitskräfte müssen Lohnkürzungen hinnehmen, Arbeitsplätze gehen verloren und Rücküberweisungen verringern sich.
Viele der Kleinbauern, die die steigenden Agrarpreise zu Investitionen in landwirtschaftliche Technologien genutzt haben, können nun ihre Schulden nicht mehr abbezahlen. Auch die Mittel zur Unterstützung der am stärksten gefährdeten Teile der Bevölkerung, wie internationale Hilfsgelder und soziale Transferleistungen der Regierungen, nehmen ab.
Obwohl es die Armen und Hungernden insgesamt sind, die am stärksten unter der Nahrungsmittelpreiskrise und der Finanzkrise zu leiden haben, sind die Auswirkungen auf Haushaltsebene sehr unterschiedlich. Art und Ausmaß der Betroffenheit hängen von den konkreten Merkmalen des Haushalts ab, etwa davon, ob es sich um einen Haushalt handelt, der einen Nahrungsmittelüberschuss produziert oder der Nahrungsmittel zukaufen muss; sie hängen davon ab, wie hoch der Anteil des Haushaltseinkommens ist, der für Nahrungsmittel aufgewendet wird, welcher Zugang zu Waren und Dienstleistungen besteht und wie hoch die Gefährdung durch andere, nicht Nahrungsmittelpreis bezogene Faktoren ist (Benson et al. 2008). Von den direkten Folgen der Turbulenzen auf den Finanzmärkten und dem Rückgang der Exporteinnahmen und Rücküberweisungen werden vermutlich die arme Stadtbevölkerung und gering Qualifizierte im verarbeitenden Gewerbe am stärksten betroffen sein. Indirekt wird aber auch die arme Landbevölkerung unter den Konsequenzen zu leiden haben, da in vielen Entwicklungsländern enge Verbindungen zwischen Land und Stadt und zwischen dem landwirtschaftlichen und nicht landwirtschaftlichen Sektor bestehen (Heady 2009). Von der Nahrungsmittelpreiskrise und der Finanzkrise unterschiedlich schwer betroffen sind auch die einzelnen Mitglieder der Haushalte. Krisen haben für Frauen meist schwerwiegendere und langfristigere Folgen, da es ihnen häufiger an Besitz und Einkünften mangelt, die ihnen bei der Bewältigung der Situation helfen könnten (Quisumbing et al. 2008).
Politische Maßnahmen, die darauf abzielen, die Auswirkungen der Finanz- und der Nahrungsmittelpreiskrise abzufedern, müssen die individuelle Gefährdungslage von Ländern und die unterschiedliche Betroffenheit bestimmter Bevölkerungsteile innerhalb der Länder berücksichtigen. Soziale Sicherungsmaßnahmen sollten folglich so gestaltet sein, dass sie tatsächlich diejenigen erreichen, die am schwersten betroffen sind; gleichzeitig müssen sie den Grundstein für eine nachhaltige Verbesserung legen und negativen Folgen in der Zukunft vorbeugen. Erfolgreiche Ernährungsinterventionen, wie Schulspeisungen und Programme zur Verbesserung der frühkindlichen Ernährung sowie Initiativen zur Verbesserung der Ernährung von schwangeren Frauen und Müttern, sollten gefördert und weltweit umgesetzt werden.