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Förderung von Widerstandsfähigkeit auf Gemeindeebene in Haiti

Förderung von Widerstandsfähigkeit auf Gemeindeebene in Haiti


 
   
Länder-Fallstudie
Oktober 2013
Foto: UN Photo/Eskinder Debebe, 2016; Camp Perrin, das durch Hurrikan Matthew in Haiti stark beschädigt wurde. Ausblenden

Es reicht nicht aus, Lernprozesse zu unterstützen und Kapazitäten aufzubauen. Wir müssen die Ungleichheit und Ungerechtigkeit bekämpfen, die arme Frauen und Männer überhaupt erst verwundbar machen.

Daniel Rosenthal, Haiti, Nordwesten, ein Bauer und Mitglied des Komitees befreit einen Bewässerungskanal in Vieille Place von Ablagerungen. Das Bewässerungskanalsystem erlaubt es den Bauern der Region, auch in Zeiten mit wenig Regen eine passable Ernte zu erzielen. Außerdem besteht nun die Möglichkeit, Gemüsesorten wie Tomaten und Auberginen anzubauen, die zuvor nicht überlebt hätten, 2013; Ausblenden

Anmerkung: Dieses Kapitel präsentiert keine Forschungsergebnisse, sondern stellt Beispiele aus der praktischen Arbeit und Erfahrungen der Welthungerhilfe und von Concern Worldwide vor Ort vor. Es wurde von Mitarbeitern der Welthungerhilfe und von Concern Worldwide geschrieben und stellt die Sichtweise ihrer Organisationen dar.

Welthungerhilfe’s Program Areas in Haiti

Quelle: Welthungerhilfe auf Grundlage offiziellen Kartenmaterials.

Das verheerende Erbeben von 2010 löste eine Welle internationaler Hilfsbereitschaft aus; die weltweite Gemeinschaft versammelte sich um Haiti. Nun, Mitte 2013, das heißt dreieinhalb Jahre später, läuft die Erdbebenhilfe der Geber aus; das Land ist jedoch nach wie vor extrem anfällig gegenüber Ernährungskrisen. Auch wenn die neuesten Daten einen positiven Trend erkennen lassen, führten Dürren und Stürme im Jahr 2012 erneut zu erhöhter Ernährungsunsicherheit. In einer Umgebung, die nicht nur durch eine extrem hohe Gefährdung durch Naturkatastrophen gekennzeichnet ist, sondern auch regelmäßig vonökonomischen und soziopolitischen Krisen erschüttert wird, ist eine Analyse langfristiger Programme aus Resilienz-Perspektive von großem Nutzen.

Ursachen für Haitis Mangel an Widerstandsfähigkeit

Weitverbreitete Armut und anhaltende Ernährungsunsicherheit. Haiti leidet seit Jahrzehnten unter weitverbreiteter Armut und chronischer Ernährungsunsicherheit. Zwischen 1990 und 2000 hat sich der WHI-Wert verbessert; er fiel von 33,8 auf 25,7. Trotz weiterer Fortschritte in den letzten Jahren rangiert Haiti nach wie vor unter den Ländern mit „sehr ernsten“ WHI-Werten (der WHI-Wert 2013 liegt bei 23,3). Grund ist vor allem ein mangelnder Zugang zu ausreichender und nährstoffreicher Nahrung: Mehr als die Hälfte der Haushalte in Haiti lebt in absoluter Armut, nämlich von weniger als einem Dollar am Tag (Glaeser, Horjus und Strother 2011).

Naturkatastr ophen und politische Krisen. Im Jahr 2012 wurde Haiti als das Land eingestuft, das am stärksten durch die Folgen des Klimawandels gefährdet ist (Maplecroft Global Risk Analytics 2011). Bis 2011 hatte Haiti 34 schwere Krisen innerhalb nur eines Jahrzehnts erlebt (Glaeser, Horjus und Strother 2011). Neben den schweren Katastrophen sind es lokale Dürren, überschwemmungen, Erdrutsche und andere Krisen kleineren Ausmaßes, die die Widerstandsfähigkeit von Gemeinden und Haushalten regelmäßig schwächen. Mehr als die Hälfte aller Haushalte, die von dem Erdbeben im Jahr 2010 betroffen waren, hatten bereits zuvor Schulden; in 95 Prozent der Fälle waren es Schulden für Nahrungsmittelkäufe (Haiti 2010). Allerdings ist die Risikoanfälligkeit Haitis nicht nur auf Umweltgefahren zurückzuführen; vielmehr spielen auch politische Faktoren eine wichtige Rolle. In allen vier Bereichen, die üblicherweise zur Beurteilung fragiler Staatlichkeit herangezogen werden – Sicherheit, Sozialwesen, Rechtsstaatlichkeit und Förderung ökonomischer Entwicklung (Radtke 2010) –, weist Haiti deutliche Schwächen auf.

„Emergency Economy“: Wirtschaft im Ausnahmezustand. Allerdings hat auch die internationale Gemeinschaft Gelegenheiten verpasst, am Aufbau eines stärkeren öffentlichen Sektors mitzuwirken, der eine aktivere Rolle bei der Entwicklung politischer Rahmenbedingungen einnehmen könnte, die zur Stärkung von Widerstandsfähigkeit beitragen. Obgleich sowohl Erfahrungen aus Haiti und anderen Staaten als auch die Grundsätze wirksamer Entwicklungszusammenarbeit und die Prinzipien der Menschenrechte unterstreichen, dass öffentliche Institutionen dann am effektivsten gestärkt werden, wenn die Hilfsgelder über sie kanalisiert werden, flossen nur ein Prozent der Nothilfemittel nach dem Erdbeben und zwölf Prozent der Wiederaufbauhilfe direkt an die Regierung und nutzten nationale Verteilungssysteme (United Nations 2013a). Da nach jeder Katastrophe umfangreiche Finanzmittel verfügbar sind und Haiti selbst offenbar nicht über die entsprechenden Umsetzungskapazitäten verfügt, übernehmen internationale Nichtregierungsorganisationen und private Beratungsagenturen weiterhin bereitwillig öffentliche Dienstleistungen und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Das heißt, statt die Regierung und die haitianische Zivilgesellschaft zu stärken, tragen sie dazu bei, deren Legitimität zu unterlaufen. So kann die „Nothilfetradition“ kaum durchbrochen werden und das Land bleibt weiter von humanitärer Hilfe abhängig (Haiti Grassroots Watch 2010).

Die Bedeutung der Landwirtschaft für die Widerstandsfähigkeit von Gemeinden

Photo: UN Photo/Sophia Paris, 2010; Ein Mann watet durch ein bewässertes Feld in Saint Marc, Haiti. Das Wasser stammt aus dem verschmutzten Fluss Artibonite, Ursache eines Cholera-Ausbruchs in der haitianischen Artibonite-Region. Ausblenden

BOX 4.1

WELTHUNGERHILFE IN HAITI

Seit beinahe 40 Jahren ist die Welthungerhilfe in Haiti aktiv und unterstützt Partner und Projekte in den Bereichen der Agroforstwirtschaft und der Bewirtschaftung von Wassereinzugsgebieten, Verbesserung der ländlichen Infrastruktur (Bewässerung und Straßen), Katastrophenvorsorge und Stärkung der Zivilgesellschaft. Im Jahr 2011 hat die Organisation eine externe Wirkungsanalyse in Auftrag gegeben. Ziel war es, einen überblick zu erhalten, welche Wirkungen innerhalb von zehn Jahre Programmarbeit in Haitis Nordwest-Departement erreicht werden konnten. Im nationalen Vergleich zählt diese Region zu den Gebieten, die besonders stark von Ernährungsunsicherheit gekennzeichnet sind.

“Ich habe als Wachmann bei der Nichtregierungsorganisation „Health, Water and Sanitation” (HEWASA) gearbeitet. 2002 hatte ich einen Autounfall auf meinem Weg zur Arbeit. Ich war ein Jahr lang bettlägerig und verlor daraufhin meinen Job. Nun bin ich behindert und untätig. Ich kann nicht mehr für meine Familie sorgen wie vorher. Das Leben ist schwer geworden...Die Regierung und Nichtregierungsorganisationen sollten ihre rigide Haltung gegenüber formeller Beschäftigung überdenken und anerkennen, dass für Menschen im arbeitsfähigen Alter auch Selbstständigkeit ein gangbarer Weg sein kann. Die Regierung muss strikte Maßnahmen zur Kontrolle des Bevölkerungswachstums ergreifen (z. B. maximal drei Kinder pro Familie). Ansonsten wird die Situation bald unkontrollierbar sein.” Alozio Businge, Bezirk Kabarole, Uganda
“Um meine Ernte zu sichern und möglichen Schäden durch das Wetter vorzubeugen, wurde ich im Projekt „ECOCLIMA” im Risikomanagement fortgebildet. Ich habe begonnen, meine Pflanzen auf mehreren Feldern in unterschiedlichen ökologischen Zonen anzubauen und wenn ich die Ernte eines Feldes verliere, habe ich immer noch die anderen.” Guillermo Pacotaype, Bezirk Chuschi, Peru

Die meisten Menschen, die unter Armut und Ernährungsunsicherheit leiden, leben in ländlichen Gebieten. Kleinbauern leiden unter schwierigen strukturellen Rahmenbedingungen und müssen den Großteil ihrer Nahrungsmittel zukaufen (Glaeser, Horjus und Strother 2011). Daher kommt der Agrarpolitik bei der Stärkung der Widerstandsfähigkeit gegenüber Hungerkrisen eine Schlüsselrolle zu.

Niedrige Produktivität, fragmentierter Landbesitz, nicht nachhaltige Praktiken. Obwohl die klimatischen Bedingungen in Haiti ähnlich günstig sind wie in seinen karibischen Nachbarstaaten Kuba und der Dominikanischen Republik, sind die durchschnittlichen Getreideerträge wesentlich niedriger (Tabelle 4.1).

Wodurch erklären sich diese relativ niedrigen Getreideerträge der haitianischen Bauern? Die meisten Bauern in Haiti sind Bergbauern mit kleinen Höfen und verstreuten, stark parzellierten Feldern. Nach haitianischem Erbrecht wird Land unter mehreren Erben aufgeteilt, was zu einer fortschreitenden Fragmentierung des Landbesitzes und zu schwachen Grundbesitzverhältnissen führt. Unter diesen Bedingungen ist es für landwirtschaftliche Großbetriebe und Industrie- und Bergbauunternehmen ein Leichtes, sich fruchtbares Land anzueignen (Cadre de Liaison Inter-ONG Haiti 2013).

In Anbetracht der schlechten Bodenqualität vieler Parzellen und der konstanten Bedrohung durch ökologische und klimatische Gefahren tendieren die meisten Kleinbauern eher zur Risikominimierung als zur Produktionsmaximierung, um ihr überleben und ihre Ernährungssicherheit zu gewährleisten. Das heißt, sie nutzen die unterschiedliche Bodenqualität ihrer Anbauflächen und diversifizieren ihre Anbauprodukte, um Erntezyklen zu verlängern und Natur- und Klimarisiken vorzubeugen. Gleichzeitig zwingen jedoch demografischer Druck und Armut die ländliche Bevölkerung zu Maßnahmen, die ihre Vulnerabilität gegenüber Risiken noch erhöhen. Abholzung zur Holzkohlegewinnung als alternative Einkommensquelle führt zum Beispiel zu einer Verschlechterung der Umweltbedingungen und trägt zu Bodenerosion und Wasserknappheit bei. Aufgrund der Landknappheit bewirtschaften Kleinproduzenten zunehmend Steilhänge mit besonders empfindlichen Böden, was wiederum Erosion und Bodenverschlechterung fördert.

Neben den zunehmend parzellierten Landbesitzverhältnissen und der hohen Exposition gegenüber Naturrisiken schränken weitere Faktoren die Kleinbauern ein: fehlende Investitionsmöglichkeiten, die einen niedrigen agrartechnologischen Stand und eine unzureichende Infrastruktur bedingen, geringer Zugang zu Märkten, eine hohe Abwanderungsquote aus ländlichen Gebieten sowie eine schwache Vertretung in politischen Debatten.

Schlechte politische Rahmenbedingungen für Kleinproduzenten. Nachdem auch der haitianische Agrarsektor im Jahr 2012 von Wirbelsturm Sandy getroffen wurde, bekräftigte die haitianische Regierung ihre Entschlossenheit zur Durchführung einer Agrarreform und kündigte an, Haiti solle bis 2017 in der Lage sein, die Nahrungsmittelversorgung zu 60 bis 70 Prozent aus eigener Produktion zu gewährleisten (AlterPresse 2012; Joseph 2013). Bislang werden allerdings vor allem große agrarindustrielle Vorhaben gefördert, während nur wenig investiert wird, um die ökologische Situation Haitis zu verbessern und eine nachhaltige Landwirtschaft zu unterstützen, von der Kleinbauern profitieren würden und die helfen könnte, lokale Gemeinschaften zu ernähren.

Einige Beobachter behaupten, dass Geber, insbesondere der Internationale Währungsfonds, die Weltbank und die Vereinigten Staaten, nach wie vor die Vision einer exportorientierten agrarindustriellen Entwicklung verträten und förderten (Kennard 2012), die in den 1980ern mit den vom Internationalen Währungsfonds und der Weltbank empfohlenen Strukturanpassungsprogrammen begonnen hat. Diese Programme leiteten kein breit angelegtes Wachstum des haitianischen Agrarsektors ein. Vielmehr profitierte nur eine kleine Elite und die Importabhängigkeit stieg noch an. Das Problem der Importabhängigkeit wurde durch massive Nahrungsmittelhilfelieferungen, die zusätzlich Nahrungsmittel auf den haitianischen Markt brachten, ohne lokale Produktion und Selbsthilfekapazitäten zu berücksichtigen, weiter verschärft. Schädliche politische Maßnahmen, wie zum Beispiel die niedrigen Einfuhrzölle für Reis, erschwerten es lokalen Produzenten, mit den billigen Importen zu konkurrieren. Die Abhängigkeit von Importen machte die Haitianer besonders anfällig gegenüber Nahrungsmittelpreisschwankungen auf dem Weltmarkt und erhöhte die Ernährungsunsicherheit der ärmsten Bevölkerungsgruppen.

Eine weitere Herausforderung ist das Fehlen eines ressortübergreifenden Ansatzes für Ernährungssicherheit. Während das Landwirtschaftsministerium dafür zuständig ist, die Nahrungsmittelversorgung zu gewährleisten, trägt das Gesundheitsministerium die Verantwortung für Ernährungsfragen. Es ist noch unklar, ob Haitis Entscheidung, der internationalen Initiative Scaling Up Nutrition (SUN) im Juni 2012 beizutreten, von einer ausreichenden politischen Entschlossenheit getragen wird, sich sektorübergreifend verstärkt gegen Mangelernährung zu engagieren.

TABELLE 4.1

Durchschnittliche Getreideerträge in Kuba, der Dominikanischen Republik und Haiti, 1993–2011

Land Durchschnittliche Getreideerträge (Kilogramm/Hektar)
1993–1997 1998–2002 2003–2007 2008–2011
Kuba 1,859 2,632 2,874 2,325
Dominikanische Republik 3,832 4,073 4,052 3,299
Haiti 947 912 947 941
Quelle: Weltbank (2013a).

Anmerkungen: Getreideernte in Kilogramm pro abgeerntetem Hektar; umfasst Weizen, Reis, Mais, Gerste, Hafer, Roggen, Hirse, Sorghum, Buchweizen und Mischgetreide. Produktionszahlen für Getreide beziehen sich ausschließlich auf Feldfrüchte, die als Trockenkörner geerntet werden. Getreide, das als Heu oder grün als Nahrungsmittel, Futtermittel oder Silage geerntet oder abgeweidet wurde, ist ausgeschlossen. Die FAO ordnet die Produktionsdaten dem Kalenderjahr zu, in dem der Großteil der Ernte stattgefunden hat.

“Das Leben ist wegen der Inflation sehr schwer. Teff [äthiopisches Getreide] ist sehr teuer. Früher habe ich 100 Kilo für 300 Birr gekauft, jetzt kosten sie 2.000 Birr. […] Vorher haben wir Linsen, Gemüse und Fleisch gegessen, aber jetzt können wir uns all diese Dinge wegen der Inflation nicht mehr leisten. […] Fleisch können wir uns nur noch an Feiertagen wie Ostern leisten. Ich habe keine Ersparnisse. Ich weiß nicht, was passiert, wenn eine Krise eintritt.” Nunu Desalegn, Addis Abeba, äthiopien
“Als mein Ehemann noch lebte, hatten wir einige Tiere: Rinder und Ziegen. Wir haben sie alle bei überfällen verloren. Mein letztes Huhn starb an Geflügelcholera. Darum habe ich keine Tiere mehr. […] Letztes Jahr habe ich das Land bestellt und gesät, aber überhaupt nichts geerntet. Der Regen war stark, die Felder wurden überflutet und alle Pflanzen sind eingegangen...Weil ich letztes Jahr nichts geerntet habe und keine Tiere habe, musste ich auf andere Einkommensmöglichkeiten zurückgreifen, um bis zur nächsten Ernte zu überleben. Ich habe Feuerholz geschlagen und Holzkohle hergestellt, die ich auf dem Markt verkaufe. Von dem Geld habe ich Hirse gekauft und ein lokales Bier hergestellt und verkauft. Momentan pflanze ich Gemüsesetzlinge im Garten, die in einer Gärtnerei mit Samen von der Welthungerhilfe gezüchtet werden.” Maria Naok, Bezirk Karamoja, Uganda

Abbildung 4.1

Wirkungskette von Programmen aus zehn Jahren im Nordwest-Departement von Haiti

FIGURE 4.1 IMPACT CHAIN OF 10 YEARS OF PROGRAMMING IN HAITI’S NORTH-WEST DEPARTMENT Quelle: übernommen von Kundermann (2012).

Anmerkung: CFW = Cash for Work. FFW = Food for Work. Diese Programme trugen vorübergehend auch zum Einkommen bei. Die Farbe der Pfeile gibt die Intensität der nachgewiesenen Wirkung an.

Das Programm der Welthungerhilfe und seine Wirkungen

Haitis Nordwest-Departement ist eine der Regionen, die am stärksten von struktureller Ernährungsunsicherheit betroffen sind. Mehr als 90 Prozent der Einwohner bestreiten ihren Lebensunterhalt mit Subsistenzwirtschaft. Die Welthungerhilfe arbeitet seit 1993 in dieser Region; zunächst konzentrierte sich das Engagement auf Programme zur integrierten Ernährungssicherung. Seit 2003 unterstützt die Organisation auch Vorhaben zur nachhaltigen Nutzung von Wasserressourcen, um die Ernährungssituation und die Lebensbedingungen zu verbessern. Aufgrund der regionalen Gegebenheiten konzentrierte sich die Welthungerhilfe in ihrer Arbeit darauf, die Verfügbarkeit von und den Zugang zu Lebensmitteln zu verbessern, während die Verwendung und Verwertung von Nahrungsmitteln auf Haushaltsebene weniger im Vordergrund stand. Zwischen 2000 und 2011 hat die Welthungerhilfe insgesamt 21 Projekte unterstützt, die von einer Vielzahl von Gebern finanziert wurden und insgesamt 37.000 Haushalte erreichten.

Obwohl das Programm nicht spezifisch auf die Stärkung von Widerstandsfähigkeit gegenüber Mangelernährung zugeschnitten war, lassen sich im Hinblick auf Resilienz einige wichtige Erkenntnisse ableiten.

Das Programm förderte die Widerstandsfähigkeit ländlicher Gemeinden, indem es konsequent die strukturellen Ursachen von Ernährungsunsicherheit anging und zugleich wohlüberlegten Gebrauch von Nothilfeinstrumenten wie „Food for Work“ (Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, bei der die Arbeiter mit Nahrungsmitteln entlohnt werden) oder „Cash for Work“ (vergleichbare Maßnahme, bei der die Arbeiter Geldtransfers erhalten) machte. Die Betrachtung aus der Resilienz-Perspektive zeigt, inwiefern das Programm noch angepasst werden muss, um die Widerstandsfähigkeit ländlicher Gemeinden noch gezielter zu erhöhen.

Das Programm im Nordwest-Departement umfasst eine ganze Reihe von Aktivitäten mit dem Ziel, den umfassenden Schutz eines Wassereinzugsgebiet zu gewährleisten, den Zugang zu abgelegenen Regionen sicherzustellen und die Bewässerung der Felder und Wasserversorgung von Haushalten zu verbessern. Flexible Finanzierungsmechanismen für Notfallmaßnahmen waren von Anfang an eingebaut, um im Fall von Naturkatastrophen auf akute Bedürfnisse reagieren zu können (Kundermann, Excéus und Almqvist 2012). Abbildung 4.1 zeigt die Ergebnisse und Auswirkungen des Programms sowie die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Maßnahmen und Planungsebenen.

Die externe Programmanalyse schildert folgende direkte und indirekte Wirkungen im Zeitraum zwischen 2000 und 2011:

  • Trotz wiederkehrender Krisen und Belastungen konnten 4.800 Haushalte ihre Ernährungssicherheit nachhaltig verbessern, maßgeblich hierfür war vor allem der verbesserte Zugang zu Bewässerung und Wasserversorgung sowie zu geschützten Anbaugebieten mit hohem Ertragspotenzial.

  • Dank landwirtschaftlicher Erträge, die sich um 50 bis 200 Prozent erhöhten, konnten die Haushalte ihr Einkommen steigern. Bewässerungssysteme, Bodenschutzmaßnahmen, bessere Wasserversorgungssysteme und besserer Zugang zu Märkten durch neu erbaute Landstraßen haben zu diesen Produktionssteigerungen beigetragen.

  • Für viele Haushalte verbesserten sich nicht nur die Verfügbarkeit von und der Zugang zu Nahrungsmitteln, sondern auch die Qualität der konsumierten Nahrung. Der Verzehr von Gemüse erhöhte sich dank Bewässerungslandwirtschaft und Diversifizierung; der Zugang zu Trinkwasser trug zur Verbesserung von Gesundheitsindikatoren (Durchfallerkrankungen wurden um 20 Prozent reduziert) und zur besseren Verwertung der Nahrung auf Haushaltsebene bei.

  • Die Nahrungsmittelknappheit während akuter Krisen wurde um geschätzte 30 bis 50 Prozent reduziert, und zwar vor allem durch die Einführung flexibler und zielgerichteter Food-for-Work und Cashfor- Work-Programme während akuter Notsituationen. Dadurch waren Haushalte in der Lage, schädliche Bewältigungsstrategien zu vermeiden, wie etwa den Verkauf von Tieren, den Verlust von Vermögenswerten oder Holzkohleherstellung, die zu weiterer Abholzung führen würde.

“2007 hat Zyklon Nargis mein Haus und die Ernte eines Feldes zerstört, für dessen einjährige Pacht ich gespart hatte – um meine Schulden zu zahlen. Als ich dem Besitzer die letzte Pacht nicht zahlen konnte, wurde ich verhaftet und blieb so lange im Gefängnis, bis ich mir bei einem lokalen Geldverleiher Geld zu 15 Prozent Zinsen im Monat leihen konnte.” Daw Kae Phyo, Yangon, Myanmar
“Wir müssen uns um dringende Haushaltsausgaben nicht mehr sorgen wie zuvor, weil wir uns kurzfristig Geld von der Spargemeinschaft zu bezahlbaren Zinsen leihen können. Vorher lebten wir in ständiger Angst, dass wir externe finanzielle Hilfe benötigen würden, wenn unsere Kinder krank werden oder wir einen schlechten Arbeitsmonat oder eine schlechte Ernte haben. Nun können wir uns selbst versorgen und unsere Bedürfnisse und unerwartete finanzielle Ausgaben decken. Selbst wenn ein weiterer Sturm wie Nargis kommt, können wir uns aus eigener Kraft davon erholen.” Daw Hnin Aye, Yangon, Myanmar

Bestandteile von Resilienz

Eine Programmanalyse aus Resilienz-Perspektive deutet auf viele wichtige Faktoren für die Stärkung der Widerstandsfähigkeit gegenüber Mangelernährung hin:

  • Durch die Bekämpfung mehrerer grundlegender, struktureller Ursachen von Vulnerabilität (wie ungenügende Infrastruktur, unzureichender Stand der Technik, schlechter Marktzugang) trug das Programm dazu bei, dass die Menschen eine größere Chance haben, sich auf längere Sicht dauerhaft aus Hunger und Armut zu befreien. Um Mangelernährung noch gezielter zu bekämpfen, ist allerdings eine eingehendere Analyse der spezifischen Ursachen und Risikofaktoren vor Ort erforderlich.

  • Die nachhaltige Verbesserung der Ernährungssituation war Hauptziel der Programminterventionen. Gleichzeitig wurden die Maßnahmen jedoch so konzipiert, dass sie dazu beitrugen, die Gefährdung durch Katastrophenrisiken zu verringern und die Anpassungs-, Bewältigungs- und Transformationskapazitäten der lokalen Gemeinden im Falle von Krisensituationen, wie Erdrutschen, überschwemmungen oder Erdbeben, aufrechtzuerhalten und dauerhaft zu stärken. Die langfristige Ausrichtung und Kontinuität des Programms, vor allem in Bezug auf strategische Planung und Personal machte es möglich, auf akute Krisen entwicklungsorientierte Antworten zu finden. Ein Schlüssel für den Erfolg waren die eingehende Analyse der örtlichen Selbsthilfekapazitäten nach jeder Krise sowie die Unterstützung bei der überbrückung der identifizierten Kapazitätsengpässe. Nothilfeleistungen kamen nur dann und nur so lange zum Einsatz, wie dies zur überbrückung notwendig war, und sorgten somit dafür, dass die langfristigen Entwicklungsziele weiterverfolgt werden konnten. Da anzunehmen ist, dass die Anzahl der Naturkatastrophen in Haitis Nordwest-Departement noch weiter zunehmen wird, wird die Frage, wie Menschen sich gegen Risiken absichern können, noch drängender werden. Das bedeutet, dass Regierungsstellen, größere Geldgeber und die Zivilgesellschaft grundsätzliche Antworten finden müssen, wie soziale Sicherung zukünftig gestaltet werden kann. Geschieht das nicht, besteht die Gefahr, dass unüberlegte Nothilfemaßnahmen die noch schwach ausgeprägten Selbsthilfekapazitäten der Bevölkerung wieder untergraben und es somit nicht gelingt, die „Nothilfetradition“ zu durchbrechen, so dass Haiti weiter von humanitärer Hilfe abhängig bleibt.

  • Das Programm förderte den Aufbau lokaler Komitees, zum Beispiel von Wassermanagementkomitees, die mittel- bis langfristig zum Kern einer organisierten ländlichen Zivilgesellschaft werden können. Ein höherer Selbstorganisationsgrad ermöglicht es, gemeinsam Risiken besser vorzubeugen und mit Katastrophen umzugehen. Zum heutigen Zeitpunkt sind die Komitees allerdings noch schwach. Um ihre institutionelle Unterstützung nach Ende des Programms sicherzustellen, ist auch in Zukunft die kontinuierliche Zusammenarbeit mit Regierungsstellen von großer Bedeutung.

  • Die Maßnahmen und Ziele des Programms stimmen mit den Schwerpunktsetzungen der haitianischen Regierung in den Bereichen Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, Trinkwasser und Hygiene, Ernährungssicherheit, Umweltschutz und Katastrophenvorsorge überein. Durch die enge Zusammenarbeit mit staatlichen Strukturen und Gemeindeverwaltungen werden deren Kapazitäten für den Umgang mit Krisen und ihre Kompetenzen insgesamt gestärkt.

Die Kombination der hier dargestellten Faktoren trug dazu bei, die Widerstandsfähigkeit ländlicher Gemeinden in Haitis Nordwest-Departement gegenüber Ernährungskrisen zu stärken. Die Welthungerhilfe sollte ihr intensives und langfristiges Engagement vor Ort dazu nutzen, auf resilienzfördernde politische Rahmenbedingungen hinzuwirken und die Umsetzung entsprechender politischer Maßnahmen zu überwachen. Durch ein gemeinsames Vorgehen mit anderen Nichtregierungsorganisationen und mittels Unterstützung der haitianischen Zivilgesellschaft kann die haitianische Regierung so weiter dabei gestärkt werden, Verantwortung für die zukünftige Entwicklung Haitis zu übernehmen und darüber Rechenschaft abzulegen. Die Welthungerhilfe-Konferenz „Haiti jenseits der Nothilfe: Haitianer als Akteure ihrer eigenen Entwicklung“ in Port-au-Prince im Dezember 2012 bot eine Plattform für den Dialog zwischen haitianischer Zivilgesellschaft und Regierung. Sie war ein positiver Schritt, Haiti ein größeres Gewicht bei der Bestimmung seiner zukünftigen Entwicklung zu geben, und demonstrierte, dass die haitianische Gesellschaft der wichtigste Motor für eine nachhaltige Entwicklung und den Aufbau resilienzfördernder Rahmenbedingungen ist.

 

Fußnoten

  1. Die Ergebnisse des Haiti Demographic and Health Survey (DHS) 2012 wurden im WHI 2013 nicht berücksichtigt, da der Bericht erst verfügbar wurde, nachdem die Zusammenstellung der Daten für den WHI bereits abgeschlossen war. Der Haiti DHS 2012 zeigt im Vergleich zum Haiti DHS 2005–06 konkrete Verbesserungen in Bezug auf die Mangelernährung von Kindern (Cayemittes et al. 2007, 2013). Nach den Daten der FAO haben sich die Unterernährung in der Bevölkerung und die Pro-Kopf- Nahrungsenergieversorgung in Haiti in den letzten Jahren ebenfalls positiv entwickelt (FAO 2013a).  
  2. Von 100 Menschen, die ihre Grundbedürfnisse nicht decken können, leben 77 in ländlichen Gebieten, neun im Ballungsraum Port-au-Prince und 14 in anderen städtischen Gebieten. Eine umfassende Bewertung der Ernährungssicherheit und Vulnerabilität aus dem Jahr 2007 ergab, dass ländliche Haushalte 68 Prozent ihrer Nahrungsmittel kaufen. Diese Ausgaben machen 59 Prozent ihrer Gesamtausgaben aus (Glaeser, Horjus und Strother 2011).  
  3. Mitte der 1990er unterstützte US-Präsident Bill Clinton die drastische Reduzierung der Importzölle für US-Reis. Am 10. März 2010 äußerte er vor dem Auswärtigen Komitee des Senats jedoch: „Das war vielleicht für einige meiner Bauern in Arkansas gut, aber es funktionierte nicht. Es war ein Fehler” (Democracy Now 2011).