Bereits seit 2007 arbeitet die Welthungerhilfe im Bezirk Pujehun zusammen mit den örtlichen Kleinbauern an der Wiederherstellung der ländlichen Infrastruktur und unterstützt Maßnahmen zur Einkommenssteigerung und zur Förderung der Ernährungssicherheit durch effizienten und umweltschonenden Gebrauch der verfügbaren natürlichen Ressourcen. Im Jahr 2011 pachtete die Firma Socfin Agricultural Company Sierra Leone Ltd (SAC), ein Tochterunternehmen des luxemburgischen Konzerns Socfin, in der Region 6.500 Hektar Land für die Pflanzung von ölpalmen und Kautschuk. Der Pachtvertrag betrifft ungefähr ein Viertel der Fläche des in Pujehun gelegenen Stammesgebietes Malen und umfasst 24 Dörfer (siehe Karte auf Seite 37). Er gilt für 50 Jahre, mit einer Verlängerungsoption für weitere 21 Jahre. Als unmittelbare Folge dieser Verpachtung haben Kleinbauern nun keinen Zugang mehr zu Agrarland oder Waldflächen und der Großteil der Projekte, die die Welthungerhilfe gemeinsam mit den örtlichen Landwirten durchgeführt hatte, musste eingestellt werden.
Wie in zahlreichen anderen Fällen stellen sich auch bei diesem Landgeschäft zwei wesentliche Fragen: Wie wird über den Erwerb des Landes entschieden und welche Auswirkungen hat er auf die Sicherheit von Ernährung und die Lebensgrundlagen der örtlichen Bevölkerung (Anseeuw et al. 2012b).
„Wir hatten nie eine Chance, das Geschäft auszuschlagen: wir fühlten uns genötigt.“
In den ländlichen Regionen Sierra Leones gehört das Land meist wenigen Familien, wobei das System der Stammesführerschaft eine wichtige Rolle bei der Verwaltung und Pflege des Landes spielt. Der Landbesitz von Großfamilien und die Rolle der Stammesautoritäten bei der Landverwaltung sind Teil des sozio-kulturellen Gefüges; das eine ist mit dem anderen untrennbar verbunden. Dementsprechend wird Land herkömmlicherweise nicht verpachtet, sondern zugeteilt. In den Gesetzen ist jedoch ein Verfahren verankert, mit dem Ausländer Pachtbesitz erwerben können. Dazu ist das Einverständnis sowohl der Stammesführer als auch der lokalen Autoritäten notwendig. Die Investoren können das Land entweder direkt von den Landbesitzern pachten oder die Regierung kann es als Hauptpächter wiederum unterverpachten.
Im Stammesgebiet Malen wurde die Investition der SAC zunächst als weitaus kleiner dargestellt, als sie tatsächlich war. örtliche Landbesitzer und -nutzer wurden erst informiert, als die Stammesführung die Entscheidung über die Landvergabe schon getroffen hatte. Sie wurden aufgefordert, ihre Unterschrift oder ihren Daumenabdruck unter die Vereinbarung zu setzen, ohne dass sie deren Details kannten oder verstanden. Tatsächlich vergingen nach Vertragsunterschrift drei ganze Monate, bevor der vollständige Text in der öffentlichkeit verlesen und vor Ort in die Stammessprache übersetzt wurde (siehe Box 4.1).
Die jährliche Pacht für das Land beträgt fünf US-Dollar pro Morgen (12,50 US-Dollar pro Hektar). Sie wurde von der Regierung festgelegt und nicht mit den Landwirten verhandelt. Die Landbesitzer erhalten lediglich 50 Prozent der jährlichen Pachtzahlungen; die andere Hälfte wird unter verschiedenen Ebenen der Verwaltung aufgeteilt (Bezirk und Stammesführung erhalten je 20 Prozent, die verbleibenden 10 Prozent gehen an die Staatsregierung).
Trotz dieser geringen Mitbestimmung stimmten manche Dorfgemeinschaften der Landvergabe in der Hoffnung auf neue Arbeitsmöglichkeiten und Bildungsangebote zunächst zu. Die erwarteten Vorteile blieben jedoch aus. Zwei weitere Dorfgemeinschaften, die die Vereinbarung zu Beginn befürwortet hatten, standen ihr im August 2011 kritisch gegenüber.
„Früher hatten wir viel mehr zu essen.“
In früheren Zeiten war das Stammesgebiet Malen eine bäuerliche Gesellschaft mit einem hohen Grad an Selbstversorgung. Heute ist in den Dorfgemeinden nur noch wenig Land verfügbar. Die ehemaligen bäuerlichen Familienbetriebe sind nun auf eine unsichere und unregelmäßige Nachfrage nach Arbeitskräften angewiesen und leiden unter den Sorgen und der Unsicherheit, die mit einer solchen Abhängigkeit einhergehen.
Als SAC das Land übernahm, bekamen die Bauern eine einmalige Zahlung von einer Million Leones (SLL), das entspricht ungefähr 220 US-Dollar, für jeden Morgen ölpalmen-Plantage, der verloren ging. Für andere Pflanzen wurde keine Entschädigung geleistet. Diese Zahlung ist in Relation zum jährlichen Einkommen, das die Bauern sonst hätten verdienen können, gering. Dieses Einkommen hatten die Familien zuvor häufig genutzt, um den Schulbesuch ihrer Kinder zu finanzieren.
Im Anbausystem der Kleinbauern trug jedes Familienmitglied zum Erfolg des Betriebs bei. Heute ist der Arbeitskräftebedarf auf den großen Plantagen deutlich geringer und einstige Bauernfamilien sind auf das Einkommen einzelner Familienmitglieder angewiesen. Es handelt sich dabei zumeist um Gelegenheitsarbeiten, für die die Arbeitskräfte von Tag zu Tag angestellt werden. Die Plantage zieht zahlreiche Arbeiter aus anderen Regionen an, während keine vertraglichen Vorkehrungen getroffen wurden, die der lokal ansässigen Bevölkerung einen Vorzug bei der Vergabe der Arbeitsmöglichkeiten einräumen würden.
Obwohl die Bezahlung auf den Plantagen derjenigen bei vergleichbaren Investitionsprojekten in Sierra Leone entspricht, reicht ein Tageslohn von 2,20 US-Dollar (das entspricht SLL 10.000) nicht aus, um eine Familie davon zu ernähren – schon gar nicht angesichts der steigenden Verbraucherpreise. Von Mai 2011 bis Mai 2012 stiegen die Marktpreise für Nahrungsmittel in der Region, die vom groß angelegten Landerwerb betroffen ist, durchschnittlich um 27 Prozent (vgl. Tabelle 4.1).
Angesichts eines Verlusts an Selbstversorgungskapazitäten und eines parallelen Anstiegs der Nahrungsmittelpreise sorgen sich immer mehr Menschen um den Zugang zu ausreichender Nahrung. Alle Gesprächspartner, die im Mai 2012 befragt wurden, gaben an, dass sowohl die Menge als auch die Qualität der konsumierten Nahrung seit der Großinvestition durch die SAC abgenommen haben. Die Interviewten sagten, dass sie vor allem weniger Fleisch äßen, da durch die Rodungen bewaldeter Flächen für die SAC-Plantagen kaum noch Buschfleisch zu finden sei.
Die Umwandlung von früheren Agrarflächen und Buschland zu Plantagen hat noch weitere ernste Folgen. Die Menschen sind zunehmend besorgt darüber, dass es kaum noch Brennholz gibt (wie in den meisten Gebieten von Afrika südlich der Sahara ist Brennholz auch hier die Hauptenergiequelle der Haushalte, siehe Kapitel 3, S. 24) und dass auch pflanzliche Heilmittel immer schwieriger zu finden sind.